Chronik 2024

05.12.2024
Tagesfahrt nach Wiesbaden
Frauenmuseum / Museum Reinhard Ernst

Guerilla Girls – The art of behaving badly … ganz brav hatten wir gerade noch im Bus auf der A66 im Stau gestanden, und nun schauten uns Frauen mit Gorillaköpfen großflächig an, in einer Sonderausstellung des Frauenmuseums Wiesbaden. Die Bilder und Plakate, zusammengestellt von der in den 1980er Jahren von Aktivistinnen gegründeten US-amerikanischen Gruppe Guerilla Girls,  exemplifizieren die weltweiten Ausgrenzungsmechanismen und die Unterrepräsentanz von Frauen und People of Colour in der Kunst- und Kulturwelt. Wir konnten zu den Aussagen nur immer wieder bestätigend nicken.

Doch das Frauenmuseum hat auch viele weitere Themen zu bieten: Brustkrebs, Menstruation, Care-Arbeit, Frauenfußball, Frauen in der Stadtgeschichte, Einzelwerke von Frauen. Herzstück ist eine archäologische Sammlung Steinzeiten-Frauenzeiten und Die Sprache der Göttin. Um all diesen Sammlerstücken und Themen gerecht zu werden, reichte ein Stündchen nicht – also wiederkommen!

Danach schwärmten wir in die Stadt aus und stärkten uns an verschiedenen Orten. Wiesbaden wurde von den alliierten Streitkräften weniger zerstört als andere Orte – so ist es heutzutage ein Genuss, in dieser ehemaligen Weltstadt des Bädertourismus herumzustreifen und sich an den diversen Baustilen zu erfreuen.

Die Bäuche waren gefüllt und die Stimmung gut, als wir zu dem imposanten Gebäude des Reinhard Ernst Museums, dem „Zuckerwürfel“, kamen. Im Sommer diesen Jahres eröffnet, in der Wilhelmstraße gelegen, verfügt Wiesbaden mit diesem Meisterwerk des Architekten Fumihiko Maki über ein Museum der Moderne, das durchaus Weltrang hat – mit Werken von Tony Cragg, Helen Frankenthaler, Karl Otto Götz, Hans Hartung, Yūichi Inoue, Lee Krasner, Morris Louis, Tal R, Judit Reigl, Pierre Soulages, Tōkō Shinoda, Frank Stella, Atsuko Tanaka und Wolfgang Tillmans auf ca 2.000 Quadratmetern.

Den Gründern Sonja und Reinhard Ernst liegt die künstlerische Bildung von Kindern und Jugendlichen besonders am Herzen. Daher sind die Vormittage Kindern und Jugendlichen vorbehalten – das Erwecken und Fördern von Kreativität,  „der Basis unserer mittelständischen Wirtschaft“, steht dann im Mittelpunkt des Museums. Folgerichtig ist der Eintritt für Kinder und Jugendliche frei. 

Beeindruckend. Vorbildhaft. Eine exzellente Führung von einer Museumspädagogin, deren Begeisterung für die Exponate und die musische Arbeit mit Kinder sich niemand entziehen kann (außer einer Kaffeefahrt-Gruppe, an der sogar sie scheiterte, wie sie amüsiert erzählte).

Es war ein erfüllender Tag, und so machte es auch nichts, dass die Rückfahrt nach Giessen zur Rush Hour ein wenig länger dauerte als gewünscht – viele Bilder im Kopf, Eindrücke im Herzen und das Gefühl von Bereicherung der eigenen inneren Landschaften führten zu allgemeiner Zufriedenheit der Teilnehmerinnen. Ein schöner Abschluss des Halbjahresprogramms 2024, und ein herzlicher Dank an die Organisatorinnen im Verein. (bt)

*******************************  

28.11.2024
Dietlind Stürz
Henri Matisse (1869 – 1954) – ein Überblick

Zum Abschluss der Vortragsreihe 2024 waren es zwei bekannte Namen, die zu einem gut gefüllten Netanya-Saal führten:

Die Kunsthistorikerin Dietlind Stürz ist als langjährige Referentin bei Frau und Kultur und Dozentin der Volkshochschule vielen Kunstinteressierten bekannt. Und wenn dann als Thema noch Henri Matisse angeboten wird, spielen Winter und Wetter keine Rolle.

Matisse ist der Begründer des Fauvismus, der ersten Avantgarde-Bewegung des 20.Jahrhunderts, den „wilden Künstler“. Seine stilistischen Neuerungen beeinflussten die Moderne Kunst nachhaltig! Im Frankfurter Städel Museum kann man sich das Bild „Blumen und Keramik“ ansehen.

Picasso nennt ihn, trotz aller Konkurrenz und andersartigen Kunstauffassung „Freund und Genie“, denn er hat „die Sonne im Leib“! Liebermann hingegen zeigte sich bei einer persönlichen Begegnung kühl und desinteressiert, nannte die Bilder „Tapete“ wegen der teils auffälligen Musterung von Tischdecken und Wänden.

1941 erkrankte Matisse und blieb den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gebunden. Da ihm das Arbeiten mit dem Pinsel schwerfiel, fing er an „mit der Schere zu malen“, also Papier zu schnipseln, wie damals als er noch ein Kind war. Die „gouaches découpées“ finden ihren Höhepunkt in der Ausstattung der Rosenkranzkapelle in Vence von 1951.

*******************************  

21.11.2024
Ulrike Kuschel
Künstlerpaare: Michail Larionow und Natalia Gontscharowa

Larionow und Gontscharowa werden als Paar in der russischen Kunstszene bezeichnet, das dort die Avantgarde der 1920er Jahre maßgeblich prägte. Am 16. Juni 1881 in einem Dorf im Gouvernement Tula geboren und dort in einer adligen wohlhabenden Familie aufgewachsen, blieb Gontscharowa dem Ländlichen zeitlebens verbunden. Mit 11 Jahren zog sie nach Moskau und studierte dort später Bildhauerei. An der Moskauer Hochschule begegnete sie Michail Larionow – sie wurden ein Paar und blieben es ihr Leben lang.

Auch Larionow kam vom Land. Die beiden Künstler lernten den Impressionismus kennen, der bis ca 1906 stilprägend für sie blieb. Larionow wandte sich jedoch immer mehr dem Fauvismus zu und der primitiven Malerei. Beide lehnten sie sich gegen die akademischen Begrenzungen der Hochschule auf und wurden wiederholt suspendiert. Gontscharowa und Larionow selbst und ihre Werke hingegen waren bekannt und verkauften sich gut. Auch Gontscharowa drückte sich immer mehr mittels der „primitiven“ Kunst aus, mit flächiger Malweise und bäuerlichen Motiven. Sie begann zu unterrichten, entdeckte für sich den Kubismus und als eine der ersten Malerinnen die Aktmalerei, was ihr den Vorwurf der Pornographie einbrachte. Parallel zu ihrem Schaffen neopositivistischer Bilder experimentierte sie mit dem Kubofuturismus und dem Rayonismus, dessen Konzept sie gemeinsam mit Larionow entwickelte.

Das Militär spielte zunächst für Larionow eine bedeutende Rolle, er wurde 1914 eingezogen, schwer verletzt und blieb zeitlebens kriegsversehrt. Larionow nutzte zunächst soldatische Szenen als Motive für seine Bilder.

Das Paar zeigte seine Werke in vielen Ausstellungen in Russland, Paris, Deutschland. Sie waren vernetzt mit dem Salon d`Automne in Paris und dem Blauen Reiter in München und gründeten selbst in Moskau die Künstlervereinigungen Karo Bube und Eselsschwanz, verließen diese jedoch wieder, da sie sich zu sehr in ihren künstlerischen Entwicklungen eingeschränkt fühlten. 1906 in Paris hatten sie Kandinsky und Jawlensky kennen gelernt, in London begeisterten sie sich für die Malerei von William Turner. Sie nahmen Münther und Gaugin als Vorbilder für ihre Volkskunst, der sie sich immer mehr verschrieben. Im Zuge des Neoprimitivismus (ab 1909) wurden ihre Bilder zunehmend simplizistisch, die Figuren unmodelliert und statisch, eher holzschnittartig, vor allem die von Larionow, während der Stil von Gontscharowa eher weicher und undramatischer blieb. Religiösität bekam ihren Platz in den Bildern, vor allem Gontscharowa hatte sich intensiv mit Ikonenmalerei beschäftigt. Glas („die Summe aller Empfindungen“), inspiriert durch die Murnauer Hinterglasmalerei, und der Rayonismus wurden in den Werken prägend, Lichtexperimente, von Gegenständen reflektierte Strahlen als zentrale Motive.

Aber auch modisch war Gontscharowa eine Trendsetterin und Ikone. Sie entwarf Kleider und trug sie auch selbst. 1914 reiste Gontscharowa nach Paris, um Bühnenbildvorschläge für Sergei Djagilews Ballets-Russes-Produktion „Le Coq d´Or“ an der dortigen Oper auszustellen. Ein Jahr später begann sie in Genf, Ballettkostüme und Bühnenbilder zu entwerfen. 1916 unternahm sie gemeinsam mit Sergei Djagilew und Larionow eine Reise nach Spanien, bei der sie ihre Faszination für spanische Frauen in prächtigen Kleidern und Gewändern entdeckte. Spanier(innen) sollten nach der Reise eine Zeitlang ihr favorisiertes Thema sein.

Ab 1918 lebten Gontscharowa und Larionow kontinuierlich in Paris. Bis 1929, dem Todesjahr Djagilews, schuf Gontscharowa dort sehr erfolgreich Bühnenbilder für die Ballets Russes. Anschließend wurde sie weiterhin weltweit als Bühnenbildnerin engagiert, u. a. in New York, Litauen, Lateinamerika, London und Russland. 1932 ließen Gontscharowa und Larionow sich endgültig in Paris nieder. Erst 1955 heiratete das Paar. Doch ihre Werke verkauften sich nur noch selten. Die letzten Lebensjahre waren von Armut und arthritisbedingten Schmerzen geprägt. 1962 starb Gontscharowa in Paris. 1964, zwei Jahre später, folgte Larionow seiner Frau ins Grab. Wenig ist über ihn selbst bekannt. Immer kränklich, hatte er sich – bei gleichzeitiger Unterstützung der künstlerischen Weiterentwicklung seiner Frau –  die restlichen fünf Jahrzehnte seines Lebens in die intime Malerei im Stil des Spätimpressionismus vertieft.

Im Rückblick bleibt das Bild eines engagierten und über künstlerische, nationale und gesellschaftliche Grenzen hinaus denkenden und handelnden Künstlerpaares, das nach der russischen Avantgarde dem Heimatland den Rücken zukehrte und sich international Namen machte, die bis heute bekannt sind. Ulrike Kuschel, freiberufliche Kunsthistorikerin, Kuratorin und Lektorin, vermittelte dies einem gespannt lauschenden Publikum, das sich am Ende zufrieden mit deutlichem Applaus bedankte.

(bt)

*******************************  

14.11.2024
Tagesfahrt nach Hanau


Unsere erste Station in Hanau war das Goldeschmiedehaus, das die meisten von uns bisher nur von außen gesehen hatten. Allerdings befindet sich hinter der schmucken Fachwerkfassade ein Neubau, wie in so vielen deutschen Innenstädten war die Zerstörung im 2. Weltkrieg enorm.

Ein Vorteil davon ist aber eine optimale Raumgestaltung für Museumszwecke und Barrierefreiheit, wenn man von der steilen Außentreppe absieht. Es gibt es aber auch einen „Hintereingang“, der nach Klingeln geöffnet wird. Den finden aber nur Eingeweihte.

Nach einleitenden Erläuterungen über die Geschichte des Hauses und die Goldschmiedekunst in Hanau, ging es in der 1. Etage durch eine Sonderausstellung sakraler Gegenstände verschiedener Künstler*innen, die erst abden 50-er Jahren entstanden sind. Bischoffs- und Kardinalsstäbe und -ringe, Abendmahlskelche, Monstanzen und weitere Gegenstände, die vielen nicht bekannt waren. Das Design ist wesentlich sachlicher, schmuckloser als in früheren Epochen, Bergkristall und Halbedelsteine wurden teilweise nur sehr sparsam eingesetzt.

Völlig anders überraschte die Sonderausstellung in 2. Geschoss: Broschen, Ringe und einzelne Stücke in neuen Formen aus andersartigem Material wie Hartschaum, die per Hand als Unkate gefertigt sind. Das Echo der Besucherinnen war geteilt, man vermutete zunächst den 3Drucker dahinter.

Der große Spaße war der umgewidmete Kaugummi-Automat, aus dem man für 2 Euro eine Überraschungs-Ei-Kugel „erdrehen“ konnte, gefüllt mit kleinen Gegenständen „Made in Hanau“. Meine erwiesen sich allerdings als „Nieten“ – Anstecker in wenig orginellem Design.

Am Nachmittag ging es ins Schloss Phillipsruhe, wo uns die gleiche Dame durch die Räume begleitete. Leider sind die Renovierungsarbeiten im Obergeschoss noch nicht abgeschlossen, so dass wir das Papiertheatermuseum nicht besuchen konnten. Die übliche klassische Führung durch die Prachträume mit den Porträts der Vorfahren zeigte keine großen Besonderheiten. Beachtlich waren die Kachelöfen – zumal wir ja kürzlich den Vortrag über die Technik und Geschichte dieser Heizmöglichkeiten genießen konnten.

Manch eine schlich sich in die kleine Sonderausstellung des Karrikaturisten Klaus Stuttmann, dem der Hanauer Emil-Grimm-Preis 2024 verliehen wurde. Hochaktuelle politische Karrikaturen als extremer Gegenpol zum Barock-Ambiente bildeten Abschluss einer angenehm ruhig Tagesfahrt.

bs

*******************************  

07.11.2024
Monica Keichel
„Ich will endlich ich selbst sein“ –

ein Portrait Romy Schneiders

Romy Schneider = »Sissi«, so ist vielen Menschen die in Wien geborene Schauspielerin bekannt. Aber: »aber das bin ich nicht!«, habe sie verzweifelt in ihr Tagebuch geschrieben, sie wollte schon früh Charakterdarstellerin sein und dies ist ihr letztlich gelungen.

Die Sissi-Trilogie war ein voller Erfolg, auch finanziell. Eine vierte und fünfte Folge verweigerte sie, schon für “ Kaiserin Sissi“ und „Schicksalsjahre einer Kaiserin“ mächtig überredet werden. Sie eroberte nach diesem Erfolg erst später Rollen in ernst zu nehmenden Stoffen und künstlerisch wertvollen Filmen. »Der Prozess« nach Kafka, »Gruppenbild mit Dame« nach Böll, »Das Mädchen und der Kommissar« sind Beispiele.

Ihr privates Leben zeigte sich aber als Tragödie: ihre große Liebe Alain Delon verließ sie für eine andere Frau, von Männern wurde sie finanziell ausgebeutet, andere Partner erwiesen sich als schwach als sie eine starke Schulter gebraucht hätte.

Bereits mit 42 Jahren starb sie an gebrochenem Herzen, nur einige Monate nachdem ihr geliebter Sohn David auf tragische Art tödlich verunfallte.

Alice Schwarzer führte ein langes Interview mit Romy Schneider – in französischer Sprache, der „Sprache des Herzens“. Ein entsprechender Artikel sollte abgedruckt werden in der ersten Ausgabe der „Emma“ im Jahr 1977. Leider kam das nicht zustande, und erst viele Jahre später kamen die Tonbandaufzeichnungen wieder zutage.

Informationen dazu finden Sie unter https://www.derstandard.de/story/2000087462365/die-wahre-geschichte-romy-schneider-bei-alice-schwarzer

Frau Keichel hat einen ausgezeichneten Vortrag gehalten, war mit ganzem Herzen dabei und erhielt auch langen, intensiven Beifall. Es gab nur positive Rückmeldungen und große Zustimmung zu einer erneuten Einladung bei Frau und Kultur.

Weitere Infos:

https://www.hdg.de/lemo/biografie/romy-schneider.html
https://www.deutsche-biographie.de/sfz114485.html#ndbcontent

 *******************************  

Extra-Termin 29. Oktober 2024
Führung im Gefahrenabwehrzentrum Gießen
mit Tim, einem der Feuerwehrmänner

Stolzenmorgen 19 in Gießen? Kennt mein Navi nicht, aber zum Glück Google Maps. Es ist ja auch ein „brand“neues Gebäude, eröffnet erst vor einem Jahr, in einem Stadtteil von Gießen mit sanierten früheren US-Kasernen, neuer Bebauung und schnellem Zugang zur Auffahrt „Ursulum“ auf den Gießener Ring.

Früher ging es mit der (historischen) Handdruckspritze los, wenn irgendwo die Sirene heulte. Ein solches Exemplar ist von Rödgen nach Gießen verbracht worden und nun dort zu bestaunen. Heute geht alles viel schneller: 60 Sekunden haben die Feuerwehrleute Zeit, um in ihre Kleidung und Fahrzeuge zu springen, wenn in der Einsatzstelle ein Notruf eingeht. Die Leitfunkstelle im Stolzenmorgen nimmt Notrufe für den Rettungsdienst und die Feuerwehr für Stadt und Landkreis Gießen entgegen, gibt sie ggf. an die Einsatzstelle Gießen weiter und koordiniert erforderliche weitergehende Maßnahmen. 

Feuerwehrmann Tim, selbst noch nicht so lange am Standort, erläuterte uns entspannt die Abteilungen, Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe und zeigte uns die Räumlichkeiten. In dem dreistöckigen Gebäude untergebracht sind über die Berufsfeuerwehr Gießen und die Zentrale Leitstelle hinaus das Amt für Brand- und Bevölkerungsschutz der Stadt Gießen und der Fachdienst Gefahrenabwehr des Landkreises mit entsprechenden Büros und Schulungsräumen. Gerätschaften und Fahrzeuge der Feuerwehr, Lagerräume, Werkstätten, Trainingsräume, Schlaf- und Aufenthaltsräume und eine Küche, in der sich die Feuerwehrleute selbst versorgen, also auch kochen, befinden sich im Erdgeschoss und im 2. Stock. Personalengpässe scheint es nicht zu geben – jedes Jahr bewirbt sich potenzieller Nachwuchs vor Ort.

Die Einsatzkräfte arbeiten, aufgeteilt in drei Wachabteilungen, in drei Schichten mit mindestens 11-13 Leuten. Zweimal in der Woche sind die Feuerwehrleute für 24 Stunden vor Ort. Sind sie nicht in der Schicht zum Einsatz, so können sie das Gym benutzen oder sich anders fit halten. Fortlaufend gibt es Trainings (auch im Westbad), Übungen (z.B. im Dunkelraum bei voller Montur und mit Atemschutzgeräten in einem käfigartigen Areal oder an Geräten/Fahrzeugen im Hof), Fitnesschecks und gesundheitliche Überprüfungen sowie Fortbildungen zu relevanten Themen.

Die gesamte Infrastruktur, die für den effizienten Einsatz der ca. 80 Kräfte erforderlich ist, wird von zusätzlichem Personal betreut. Die verbeamteten Feuerwehrleute selbst sind gleichzeitig Rettungssanitäter, kommen meistens aus handwerklichen Berufen und bewältigen 1100-1700 Einsätze im Jahr. Schwerpunktmäßig handelt es sich dabei um durch Brandmeldeanlagen ausgelöste Alarme, Türöffnungen in Gefahrenlagen, Ölspuren, überflutete Keller und Verkehrsunfälle. Dazu stehen ihnen hochgerüstete PKWs und Mannschaftswagen (Tanklöschfahrzeuge) zur Verfügung. Diese sind mit 2000 Liter Wasser, Löschschaum und ggf. Scherenspreitzern (Verkehrsunfälle) ausgestattet. Anlassbezogen ist auch ein Kleintransporter, als mobile Einsatzzentrale eingerichtet, vor Ort.

Nach Begehung der Räumlichkeiten und Antworten auf unsere vielen Fragen gingen wir mit einem Gefühl der Dankbarkeit nach Hause, dass wir potenziell so gut beschützt sind. Allerdings nicht bevor Tim uns vorgeführt hatte, wie man (als junger Mensch!) elegant die Stange vom Aufenthaltsraum zum Fuhrpark herunterrutscht – alles ganz easy J.

(bt)

*******************************  

Klaus Engelbach
„Hinter dem Ofen ist es mir wohl“ –
eine kleine Geschichte des häuslichen Heizens

Der Vortrag von Klaus Engelbach begann mit einer für frühere Zeiten typischen Abbildung: zwei Feuerstellen in einem Haushalt, ein gußeiserner Herd mit Löwenfüßen in der Küche, wo sich in der Regel die Familie aufhielt, und ein Kohleofen im Wohnzimmer, wo man nur sonntags verweilte.

Die Historie der Feuerstellen reicht, so Engelbach, nachweislich 400.000 Jahre zurück – wobei unterschieden wird zwischen Feuernutzung (vielleicht schon vor über einer Million Jahren) und der Feuerherstellung. Feuer hatte schon immer sowohl praktische als auch übersinnliche Bedeutung. Fundorte wie Bilzingsleben in Thüringen, Feddersen Wierde (Flachsiedlung) und Husterknupp (Turmhügelburg) im 1.-10. Jahrhundert belegen, dass es schon lange die uns noch heute bekannte klassische Aufteilung von Gebäuden mit zwei Räumen für Vieh und Lagerhaltung und mittig einem Bereich mit Feuerstelle gab, in dem sich die Menschen aufhielten und nachts auch schliefen. Schon vor 2.000 Jahren gab es aber auch eine Art Fußbodenheizung, wie beispielsweise im Salzburger Museum zu bestaunen ist.

Deutliche Veränderungen in unseren Breitengraden entstanden seit dem Steinbau. Eindrucksvoll zeigt der St. Galler Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert, wie sich die Architektur des Heizens weiterentwickelte. Das Abtshaus hatte einen Speise- und einen Schlafraum mit dazwischen liegender Feuerstelle, die beide Räume beheizte. Die benachbarten Handwerkerhäuser hatten auf dem Dach ein weiteres Dächelchen, über die Feuerstelle gebaut, damit der Rauch abziehen konnte. Dieses Prinzip wird noch heute verwendet.

Doch dann begann die Entwicklung der Kachelöfen – ältester Nachweis sind Ausgrabungen in der Nähe von Basel. Stube und Küche wurden getrennt. In Frohburg gibt es Funde um das Jahr 1100 die zeigen, dass Öfen nun oft einen Vorder- und einen Hinterlader hatten und der Rauch über die Esse abzog. Der Ofen wurde zur „Seele des Hauses“. Die ursprüngliche Feuerstelle, oft nur durch einen Steinkreis umrandet, wich komfortableren Modellen bis hin zu Konstrukten in herrschaftlichen Haushalten mit aufgemauertem Herd und einem „Rauchhansel“, der den Spieß drehte. Kachelöfen – so dokumentieren Drucke – wurden zu behaglichen Treffpunkten, in deren Nähe man sich gut aufhalten konnte: „Ich lig hie als all fude sol hinder dem ofen ist mir wol“ (Weberinnenfreske im Haus zur Kunkel in Konstanz). Dort ruhte man nach der Arbeit, Alte und Kranke saßen oder lagen dort, aber auch Faulenzer und Drückeberger („sie lagen auf der Bärenhaut“), so Engelbach.

Seit der Herstellung der beim Bau der Öfen benutzen Kacheln („Becherkacheln“, „Topfkacheln“, „Spitzkacheln“ „Schüsselkacheln“, „Halbzylinderkacheln“) entwickelten sich die Formen immer weiter. Anfang des 14. Jahrhunderts begann man sie auf der Schauseite zu glasieren. Zunächst gab es die gelbe Bleiglasur, dann grüne und rote Glasuren (15. Jahrhundert). Die Verzierungen wurden immer aufwändiger, der Kachelofen wurde mehr und mehr, über seine eigentliche Funktion hinaus, zum Kunstobjekt.  

Ergänzt wurde der Kachelofen durch eine neue Technologie: den gusseisernen Ofen, nicht selten mit biblischen Motiven. Im 19. Jahrhundert erlebte der Ofen als zentraler Stelle eines Hauses eine Renaissance: Dort traf man sich zum Spinnen, Geschichten erzählen, und man benutzte den Kamin sogar als Schlafstelle. Und noch heute, so der Referent, sind Feuer und Feuerstellen höchst beliebt: als Ergänzung zur häuslichen Heizungsanlage, zum Grillen und Feste feiern (Lagerfeuer, Osterfeuer) mit der Familie. Denn Feuer ist mehr als nur zum Wärmen und Garen nötig – noch immer sind mit ihm Riten und Bräuche verbunden.

Am Ende anerkennender Applaus: Klaus Engelbach ist gut bekannt bei Frau und Kultur. Wer mehr über den ehemaligen Lehrer und Bodendenkmalpfleger wissen will:  https://www.giessener-allgemeine.de/hessen/interesse-geschichte-stadt-wecken-12132551.html

(bt)

 *******************************  

17. Oktober 2024
Wolfgang Brandes
Carlo Goldoni und die Commedia dell’Arte

Als Dichter und Librettist wird der Arztsohn Carlo Goldoni (1707-1793) bezeichnet. Schon früh besuchte er ein Jesuitencolleg in Perugia. Da er sich für die Medizin nicht interessierte, lenkte sein Vater ihn in die juristische Richtung – 1723 erhielt Carlo ein Stipendium am katholischen Collegio Ghislieri in Pavia. Schon früh schrieb er Stücke. Eine Satire über die Bürger in Pavia, insbesondere die Mädchen der Stadt, führte zu seinem Rauswurf aus dem Collegio. Mit Unterstützung seines Vaters arbeitete er weiter im juristischen Feld, bestand 1731 seine Prüfung und wurde ein Jahr später als Avvocato zugelassen.

Doch seine Liebe und sein Talent galten dem Theater. Seine ersten Stücke waren zunächst von mäßigem Erfolg. Das änderte sich, als er in Verona den Impresario Guiseppe Immer traf. 1734 wurde Goldonis Balsario aufgeführt – ein Durchbruch, dem acht Jahre erfolgreicher Theaterarbeit folgten. Sein Name wurde in ganz Italien bekannt. Er arbeitete als Librettist für opere buffe mit Ciampi und Galuppi am Teatro San Samuele und dem Teatro San Giovanni Chrisostomo. 1738 schrieb Goldoni seine erste Komödie mit textlicher Vorgabe der Dialoge.

Goldoni, inzwischen mit der 10 Jahre jüngeren Notarstochter Nicoletta Connio verheiratet, nahm 1754 die beiden Kinder seines verwitweten Bruders auf. Inzwischen, seit 1740, war  Goldoni vorübergehend Konsul der Republik Genua, was jedoch zu seiner Verschuldung führte, so dass er sich wieder ganz dem Theater zuwandte, gleichzeitig aber auch in Pisa als Anwalt arbeitete und es zu weiterem Ansehen brachte. 1745 erschien sein wohl erfolgreichstes Stück „Der Diener zweier Herren“, das heute noch aufgeführt wird. Zwei Jahre später schloss er einen Vier-Jahres-Vertrag mit Festgehalt mit dem Theaterdirektor Girolamo Medebach (Theater Sant’Angelo in Venedig) und verpflichtete sich, jedes Jahr acht Komödien und zwei Libretti zu liefern.

In dieser Zeit entstand ein Streit zwischen ihm und seinem Konkurrenten Abate Pietro Chiari, eher Klassiker der Commedia dell‘ arte im Sinne einer Stegreifkomödie. Sein Hauptgegenspieler war jedoch Carlo Gozzi, der ihn heftig bekämpfte. Um dem Produktionsdruck zu entkommen und mit besseren finanziellen Konditionen und Druckrechten versehen verpflichtete sich Goldoni dem Theater San Luca. Die Differenzen mit Chiari nahmen zu und beförderten Goldonis Disposition zu depressiven Zuständen. Er war jedoch dessen ungeachtet weiterhin ein erfolgreicher und gefragter Autor.

Mit 53 Jahren wagte Goldoni den Sprung nach Paris. Zunächst waren seine Stücke dort wenig nachgefragt – vor allem Schauspieler selbst machten ihm das Leben schwer, denn sie bevorzugten den alten italienischen Stil. Goldoni ließ schon lange dem Kernelement des Komödienstils, der Improvisation, und den klassischen Arrangements sowohl inhaltlich als auch in der Darstellung und den Figuren kaum noch Raum. Die Schauspieler hatten Schwierigkeiten, die von ihm vorgegeben Texte auswendig zu lernen und weniger klamaukhaft zu spielen, und widersetzten sich. Auch finanziell war seine Lage immer wieder schwierig. Dennoch schaffte Goldoni es, Mitglied der Accademia Roveretana degli Agiati zu werden. Er war zeitlebens gesellschaftlich gut vernetzt und konnte davon immer wieder sowohl vom Status her als auch finanziell profitieren, auch als Anwalt. 1793 starb Goldoni im Alter von 85 Jahren in Paris.

Worin aber bestand nun der Zwist – gelegentlich als „Krieg“ bezeichnet – zwischen Goldoni und Gozzi?  Carlo Gozzi (1720-1806) stand für die Form der Theatermärchen, schöpfend aus exotischen Geschichten, und die Beibehaltung von traditionellen Figuren und Masken wie Truffaldino und Tartaglia, mit hohen Anteilen der Improvisation. Goldoni wollte Veränderungen nach dem Vorbild Molières, Lustspiele und Charakterkomödien statt Improvisationstheater mit neuen Figuren (Schauspieler mit Seele), natürlichem zurückgenommenem Spiel, ausdrucksstarker Mimik und Gestik und vorgegebenen Dialogen statt Versen. In der klassischen Commedia del’Arte gab es die Zanni (Arlecchino, Brighellla, Pagliaccio und Colombina) und die Vecchi (Pantalone, der Dottore) und weitere Figuren wie den Soldaten Il Capitano, den Angeber Scaramouche und Coviello, Pulcinella und Tartaglia. Ihnen waren Kleidung, Masken und Rollen zugewiesen – nur die konkrete Darstellung ihrer selbst war offen (es gab nur einen Leitfaden) und bot einen großen textlichen und spielerischen Improvisationsraum, den die Darsteller unterschiedlich nutzten – sehr zum Vergnügen des Publikums. Goldoni fand das langweilig. Jedoch musste auch er Kompromisse schließen, um seine Beliebtheit nicht zu verlieren.

Unbestritten trotz aller Kompromisse ist, dass Goldoni im 18. Jahrhundert das italienische Theater reformierte und dem europäischen Theater Impulse gab, die noch heute tragfähig sind. Von seinen 137 Komödien, 16 Tragikomödien, 5 Tragödien, 57 Szenarien, 20 Intermezzi, 13 Dramen, 15 Libretti und drei Farcen für das Musiktheater wird heute nicht mehr viel gespielt: zeitlos aber „Der Diener zweier Herren.“

Der kurzfristig erkrankte Referent Wolfgang Brandes hatte seinen Vortrag als Film vorbereitet. So fehlten zwar Gestik und Mimik, aber die Präsentation kompensierte seine Abwesenheit zur Zufriedenheit aller Anwesenden.

(bt)

 *******************************  

10.10.2024
Dr. Martin Reulecke
Die Töchter der Professorenfamilie Michaelis

In Göttinger akademischen Kreisen war sie sicherlich gut bekannt: die Familie des Professors der Theologie und Orientalistik Johann David Michaelis (1717-1791). Johann David, Vater von Dorothea Caroline Albertine (1763-1809), Charlotte (Lotte) (1766-1793) und Luise (1770-1846), wurde auch als „Nestor der akademischen Frauenbildung“ bezeichnet, so der Referent Dr. Martin Reulecke. Dr. Reulecke ist Geschäftsführender Direktor des Giessener Stadttheaters. Er ist aber auch Experte zum Thema: Eine in Familienbesitz befindliche Hinterglasmalerei mit den Töchtern Michaelis und ihrer Mutter war Ausgangspunkt seiner Recherchen, zusammengefasst in „Caroline Schlegel-Schelling. Virtuosin der Freiheit. Eine kommentierte Bibliographie.“

Zweifelsfrei war Caroline Schlegel-Schelling als spätere Mitbegründerin der Frühromantik die herausragende der drei Michaelis-Schwestern. Der bildhübschen Charlotte, der „Sorgenschwester“, wurde, 14jährig, eine heiße Liebschaft mit August von Kotzebue nachgesagt, doch dessen Frau passte auf und es wurde nichts daraus. Lotte heiratete 1792 den Göttinger Verlegersohn Heinrich Dieterich und starb, nur 26jährig, im Wochenbett. Ihre ältere Schwester Luise galt als „weniger begabt“, wenngleich von großer Ähnlichkeit mit ihrem Vater, als „kleines Dummerchen“, das schwer lesen lernte. Sie heiratete den späteren Gynäkologieprofessor Rudolf Wiedemann und zog mit ihm nach Kiel. Sie galt als resolute Hausfrau. Auch sie verlor, wie Caroline, mehrere ihrer Kinder.

Alle drei Mädchen wuchsen mit den weiteren Geschwistern im Michaelishaus („Londonschänke“) gegenüber der Göttinger Universität auf. Dort verkehrten viele Persönlichkeiten und Caroline übte sich schon in jüngeren Jahren gelegentlich als „Salonnière“. Die drei Schwestern waren ausgezeichnet gebildet, ihre Mutter Luise geb. Schröder, jung verheiratet, blieb jedoch zeitlebens im Schatten der Familie. Vater Johann David setzte sich außerhalb seiner Familie für die Möglichkeit der universitären Bildung von Frauen ein, insbesondere der hochbegabten Göttinger Philosophin Dorothea Schlözer, eine „Universitätsmamsell“, die 1787 als zweite Frau in Deutschland promovierte, für die jedoch die damalige akademische Gesellschaft keine Verwendung fand sondern sie und ihren ambitionierten Vater verhöhnte und verspottete. Ein solches Schicksal wollte Johann David seinen Töchtern ersparen. Dennoch waren Luise und Dorothea miteinander befreundet und schrieben sich.

Caroline heiratete 1784 den Arzt Johann Franz Wilhelm Böhmer, der 1788 starb. Von ihren drei ehelichen Kindern überlebte zunächst nur eines, Auguste. Caroline zog später nach Mainz, inzwischen unter französischer Besatzung, und machte aus ihrer demokratisch-revolutionären Gesinnung keinen Hehl. Caroline wurde von einem jungen französischen Leutnant schwanger. Auch dieses, in Obhut gegebene Kind starb jung. Die schwangere Caroline verließ in Begleitung der jakobinischen Familie Wedekind Mainz in Richtung Gotha und wurde prompt im benachbarten Oppenheim festgenommen und in der Festung Königstein arrestiert. August Wilhelm Schlegel half ihr und brachte Caroline, inzwischen sowohl politisch als auch gesellschaftlich persona non grata („unweiblich“, „unschicklich“, „emanzipiert“) nach Thüringen. Die Beiden heirateten 1796.

In ihrem Wohnort entwickelte sich die Jenaer Frühromantik, in der Caroline eine wichtige Rolle spielte. Sie war eine geistvolle Gastgeberin und half ihrem Mann bei Shakespeare-Übersetzungen. Dokumentiert sind vielgepriesene Briefe, „Glückseligkeit aus Einzelheiten zusammengesammelt“. Ihr Schreibstil entwickelte sich zunehmend. Kontakte mit Goethe wurden gepflegt, eine regelrechte Feindschaft mit Schiller und seinem Umfeld entstand.
1798 trat der Philosoph Friedrich Wilhelm Schelling in das Leben des Ehepaares. Caroline und Friedrich wurden ein Liebespaar, Carolines Erkrankung und der plötzliche Tod ihrer Tochter Auguste verhinderte jedoch zunächst eine Trennung von Schlegel. Doch 1803 heiratete das Paar dann doch. 1809 starb Caroline mit nur 46 Jahren. Zwei Jahrzehnte später wurden ihre Briefe veröffentlicht.

Am Ende des Vortrags dankbarer Applaus für den Referenten: Die Michaelis-Schwestern haben Gestalt angenommen, der Vortrag machte Appetit auf mehr.
(bt)

  *******************************  

26.09.2024
Peter Eschke
Zwischen Bahn und Lahn –
Verkehrswege in der Zeit der Industrialisierung

Wegen der Eisenerzvorkommen an Lahn und Dill wurde schon früh über eine Schiffbarmachung der Lahn nachgedacht, aber erst durch die einsetzende Industrialisierung und eine Gebietsreform wurde dies ab ca. 1840 möglich und sinnvoll.

Durch die Erfindung der Dampfmaschine wurde die Eisenbahn ein zweites sehr wichtiges Transportsystem. Beide Entwicklungen führten zur Ansiedlung der heutigen optischen und feinmechanischen Industrie mit weltmarktführenden Hightech-Produktionsstätten in Wetzlar und Umgebung.

In seinem Vortrag beschrieb Peter Eschke die schrittweise Entwicklung und ergänzte die Fakten mit den passenden Anekdoten. Der virtueller Spaziergang entlang der Lahn begann bei der Badenburg und endete an den Stellen, wo die Wasserversorgung und Entsorgung im Stadtgebiet Gießens zentriert war. Bei den Alt-Gießenerinnen kamen viele Kindheitserinnerungen hoch, denn es ging darum, was einmal wo war. Wo waren die Eishäuser, die Badeanstalten, die früheren Furten und Brücken, für die „Zugezogenen“ immer verknüpft mit den Hinweisen darauf, was jetzt dort zu sehen ist.

Die Entwicklung der Bahnverbindungen der Main-Weser-Bahn wurden ebenfalls kurz behandelt. Der erste Bahnhof (1850) war am Oswaldsgarten – wo auch jetzt ein Haltepunkt geschaffen wurde. Der prächtige Hauptbahnhof erhielt sein heutiges Aussehen von 1904 bis 1911 und ist bis heute in in Betrieb.

In dem 2-stündigen Vortrag zeigte Herr Eschke die ganze Fülle seines Wissens und hätte durchaus noch weitererzählen können. Die Ergebnisse seiner Forschungen hat er in einer dicken Broschüre „Zwischen Bahn und Lahn“ veröffentlicht. Eine Zusammenfassung bietet der nachstehende Artikel der Gießener Allgemeinen:

https://www.giessener-allgemeine.de/kultur/die-lahn-zwischen-giessen-und-leun-92107696.html

(bs)

*******************************      

19.09.2024
Burkhard Muth 
Romantische Klaviermusik von Theodor Leschetizky,   
Frédéric Chopin und Robert Schumann

Theodor Leschetizky (1830–1915), Pianist, Klavierpädagoge und Komponist, war eine der brillantesten Musikerpersönlichkeiten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

Zusammen mit Franz Liszt gilt er als der bedeutendste Klavierlehrer, zu seinen über 1.000 Schülern zählen Pianisten wie Artur Schnabel, Elly Ney, Ignacy Jan Paderewski, Mieczyslaw Horszowski, Ossip Gabrilowitsch, Mark Hambourg und Benno Moiseiwitsch, um nur einige zu nennen.

Als Komponist steht Leschetizky – wie Chopin und Schumann – ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Während die beiden Letzteren sehr bekannte Komponisten sind, geriet Leschetizkys kompositorisches Œuvre zunächst in Vergessenheit. Die Leschetizky-Renaissance begann erst in den 1990er Jahren, mitbedingt durch zahlreiche CD-Produktionen. Auch wurde 2015 seine einzige Oper wiederaufgeführt und 2019 fand der erste Leschetizky-Weltkongress in Bad Ischl statt.

In dem Vortrag wurden wesentliche Stationen seines Lebens dargestellt, eingebettet in zahlreiche Musikbeispiele. Um die Nähe zu Chopin und Schumann zu illustrieren, wurden ihnen vergleichbare Stücke dieser Komponisten gegenübergestellt.

Näheres siehe: https://deutsche-leschetizky-ges.jimdo.com/

*******************************      

12.09.2024
Dr. Erika Schellenberger
„Alles behalten für immer. Ruth Rilke.“

In Hessen waren sie ein paar Wochen exklusiv zusammen. Der berühmte Dichter Rainer Maria Rilke, die bekannte Bildhauerin Clara Westhoff und ihre gemeinsame Tochter, die kleine Ruth, die im Alter von fünf Jahren mit ihren Eltern 1906 einen „Prinzessinnensommer“ auf dem Hofgut Friedelhausen verbrachte. Es war für sie ein unstetes Leben, mit Aufenthalten bei den Großeltern in Bremen und einer Zwischenstation in München (1912-1917), wo sich Ruths Vater, getrennt lebend, des Öfteren mit der Familie traf. Ansonsten sah sie den Vater eher selten, die Ehe war schon nach einem Jahr in die Brüche gegangen.  Ab 1919 wohnte Ruth schließlich mit ihrer Mutter in Fischerhude, wo diese sich ein Haus gekauft hatte.

Ruth übernahm nach dem Tod ihrer Mutter das Haus und renovierte es. In diese Arbeiten platzte der Journalist Sándor Schulz von Radio Bremen mit einem Telefonat. Ruth war inzwischen eine verheiratete Fritzsche. Sándor Schulz, zunächst auf das nächste Jahr vertröstet, ließ nicht locker und tauchte persönlich auf. Im Garten des Hauses, romantisch an einem Seitenarm der Wümme gelegen, mit Blick auf einen Kahn, am Anleger festgetäut, dahinter Wiesen und Kühe, kamen Sándor und Ruth ins Gespräch. Von Schulz angeregt, der eine Rundfunksendung zum 80. Geburtstag von Clara Westhoff plante, versetzte sich Ruth sukzessive zurück in ihr Leben mit dem meist abwesenden Vater, mit dem sie, ungeachtet dessen, zeitebens innig verbunden war.

In den von Frau Schellenberger ausgewählten Leseproben erfuhr das Publikum, wie die Rilke-Westhoff-Tochter Ruth ihre Kindheit erlebte und wie sie nach dem Tod ihres Vaters 1926  ihr  Leben der akribischen Arbeit am Nachlass ihres Vaters widmete. Sie schrieb selbst, sechs Jahre später, einmal an eine Freundin: „Nur manchmal scheint es mir, als käme ich gar nicht zu einem eigenen Leben.“

Über sieben Jahr hinweg hat Erika Schellenberger, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Landeskoordinatorin Literatur und Schule im Büro Kulturelle Bildung des Hessischen Kultusministeriums, zu ihrem Buch recherchiert, Expertinnen getroffen (u.a. die Tochter von Ruth) und Orte des Geschehens besucht. Sie berichtete bei der Lesung auch ausführlich über das Zustandekommen der Ausstellung „Rainer Maria Rilke. Ausstellung aus dem Besitz von Anton und Katharina Kippenberg“   im September 1947, zu der auch Ruth aus Weimar anreiste. Möglich wurde diese Ausstellung vor allem durch die intensiven Forschungsarbeiten von Ingeborg Schnack, Renate Scharffenberg, Kippenbergs Assistentin, und die List des Sieber-Ehepaares (Ruth hatte zum zweiten Mal geheiratet), in einem Geigenkasten Rilke-Manuskripte aus der „Zone“ nach Marburg zu schmuggeln.

„Alles behalten für immer“ ist eine erzählerische Dokumentation, die sprachlich und situativ schwerpunktmäßig nach Norddeutschland entführt und die Worpsweder  Künstlerkolonie streift, mit der ihre Mutter  – vor allem mit Paula Modersohn – eng verbunden war. Dialoge in Platt, die typische Moorlandschaft und die präzisen örtlichen, noch heute gültigen Beschreibungen wie zum Beispiel das Hotel Restaurant Haus Berkelmann in Fischerhude, wo Schulz 1957 mit seinem Fahrrad links in die Bredenau einbog, schaffen Realitätsnähe.  Mit ihrer Fantasie gelingt es der Autorin in dem Buch, das Gefühl zu vermitteln, selbst dabei zu sein, als Zuschauerin und Zuhörerin in den beschriebenen Szenen. Eine gelungene Lesung, eine gelungene Biografie. (bt)

*******************************      

05.09.2024
Thomas Otto
Wer entscheidet für mich, wenn ich es nicht mehr kann?                                     

Mit Karacho und ohne Helm mit dem Fahrrad die Ludwigstraße runter, Freiheitsgefühl pur. Bestimmt hat der junge Mensch noch nie an eine Betreuungsvollmacht oder eine Patientenverfügung gedacht, etwas ältere Menschen verdrängen den Gedanken daran möglichst. Dabei kann es jedem und jederzeit passieren, dass man vorübergehend oder dauerhaft die Fähigkeit verliert, Entscheidungen selbst zu fällen.

Thomas Otto, Richter am Amtsgericht Wetzlar, wies zunächst darauf hin, dass Betreuungsvollmacht und Patientenverfügung zwei völlig getrennte Sachen sind, auch wenn sie auf einem gemeinsamen Formular stehen.

Bis zum 18.Lj. sind automatisch die Eltern bevollmächtigt, aber nicht automatisch auch der Ehepartner – eine Tatsache, die viele überrascht hat.

Die Vollmacht muss schriftlich abgefasst werden und „griffbereit“ aufbewahrt werden.

Der Bevollmächtigte ist berechtigt Entscheidungen zu fällen, unter der Voraussetzung, dass der/die Betroffene dazu selbst nicht in der Lage ist, nicht aber dazu verpflichtet. Sie gilt für alle Lebensbereiche, nicht aber für Immobilien-Geschäfte und Vermögensumschichtungen – hierzu ist eine notarielle Beglaubigung notwendig.

Liegt keine Vollmacht vor, wird nach Prüfung durch das Amtsgericht ein Betreuer von Amts wegen eingesetzt. Aber keine Panik – in den meisten Fällen spricht sich der überprüfende Richter dabei für die vorgeschlagene Person aus.

Die Gesetzesgrundlage findet sich im BGB, §§ 1814 ff.  Verständliche Details enthält eine Broschüre „Betreuungsrecht“, die beim Bundesministerium der Justiz heruntergeladen werden kann unter https://www.bmj.de

Das zweite wichtige Dokument, die Patientenverfügung, dient zur Vorlage bei dringend erforderlichen Behandlungen, wenn der Patient nicht ansprechbar ist. Darin sollte festgehalten werden, welche lebenserhaltende Maßnahmen gewünscht bzw. nicht gewünscht werden. Hier stehen die gesetzlichen Vorschriften eher im Hintergrund, entscheidend ist, was sich ein Mensch in einer solchen Krisensituation gewünscht hätte, wenn er im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten gewesen wäre. Dies ist aber ein Sachverhalt, den jeder mit sich selbst klären oder seinem Umfeld besprechen muss.

Es gibt es eine Fülle von Vordrucken und Beratungsstellen, rechtssicher ist eine Recherche beim Bundesministerium der Justiz („Patientenverfügung“) sowie beim Gesundheitsministerium, bei vielen Krankenkassen sowie beim VDK.

Es ist also alles nicht so einfach – gut informiert kann man beruhigter durch das Leben gehen.

Im Anschluss an den Vortrag konnte Herr Otto viele Fragen aus dem Publikum beantworten.

(bs)

 *******************************    

29.08.2024
Unsere 5-tägige Studienreise ins Saarland war wunderschön, interessant und auf Hin- und Rückfahrt mit außergewöhnlichen Zielen überraschend. Ein paar Hitzegrade weniger wären aber paradiesisch gewesen.

Ein detaillierter Reisebericht von Frau Bausch erscheint evtl. in der nächsten Ausgabe unserer Verbandszeitschrift, die unter „Deutscher Verband Frau und Kultur“ zu finden ist oder kann bei der Gruppe Gießen angefordert werden.

(bs)

 *******************************      

22.08.2024   
 Thomas Sander
„Rache ist süß und macht nicht dick“ –       
Alfred Hitchcock zum 125. Geburtstag

Hinter dem Vorhang erscheint eine Silhouette. Die Gestalt schwingt ein Messer und sticht zu. Immer wieder. Das Opfer sucht Halt am Duschvorhang und gleitet, tödlich verletzt und blutend, zu Boden.

Thomas Sander, vormals Leiter der Wetzlarer Musikschule, lenkt bei dieser Szene aus dem Thriller „Psycho“ das Augenmerk seines zahlreich erschienenen Publikums auf zweierlei: die Handlung und die Musik. Interessant die Diskrepanz zwischen dem „Gesehenen“ und der tatsächlichen Handlung, in der das menschliche Gehirn Dinge wahrnimmt die gar nicht sind.

Ein Genie eben, der Alfred (1899-1980), in den ersten Lebensjahren ein unglückliches gewalterfahrenes Kind, später DER Thrillerregisseur weltweit, dem es gelang, mittels mehrerer ineinander greifender Disziplinen unvergessliche Thriller zu schaffen: mit Handlung, Musik, Beleuchtung und Perspektive. Immer wiederkehrende Themen sind Angst, Schuld und Identität. Untermalt von Kompositionen, in acht Filmen wie bei „Psycho“ von Bernard Hermann geschrieben, ziehen diese das Publikum auf besondere Art in ihren Bann, nämlich durch minimalistische Streichorchester, in denen verschiedene Instrumente (hohe Töne der Geigen) sukzessive durch die Handlung hetzen, über die mittelhohe Bratsche bis hinunter zu den Celli und Kontrabassen, die unheilvoll den Tod verkünden.

An weiteren Szenen aus „Der Unsichtbare Dritte“ und „Bei Anruf Mord“ erläutert Thomas Sander, wie fulminante Filmmusik im 6/8 Takt (Vandana) Cary Grants wiederholte Fluchtversuche in das Maisfeld dramatisiert und Grace Kelly sich gegen ihren von ihrem Mann gedungenen Mörder wehrt, während die Musik langsam zum Stehen kommt… Auch hier lenkt die Musik die Emotionen. Verschiedene musikalische Signaturen, bestimmten Themen zugeordnet, ergänzen perfekt die Szenen und bestimmen den Puls der Zuschauer.

Wenn es enthüllt ist, ist es auch offenbar: die Messerstiche in der Duschszene sind Messerstiche in eine Melone. So klingt das! Aber das menschliche Hirn wäre nicht es selbst, wenn es nicht Künstlern gelänge, in ihm unterschiedlichste Illusionen zu erwecken. Und das war er, ein Meister der Illusionen und Vorreiter des Minimalismus, Alfred Hitchcock. Wer diese Art von Illusionen liebt, wer zur Hitchcock- Fangemeinde gehört, das ließ sich leicht sehen und hören an diesem Donnerstag Nachmittag – dank des engagierten und kundigen Referenten, der selbst diese Begeisterung teilte.
(bt)

 *******************************     

15. August 2024
Prof. Dr. Joachim Breckow
Einstein und sein Einfluss auf unser heutiges Weltbild

Strahlenphysik und Strahlenschutz waren die Schwerpunkte seiner Arbeit an der THM Gießen – auf andere Art und Weise strahlend war sein Auftritt im Netanyasaal, als Prof. Dr. Joachim Breckow mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik und gekonntem Adressatinnenbezug seine Zuhörerinnen (und ein paar Zuhörer) mitnahm zu Albert Einstein (1879-1955), dem wohl größten Physiker aller Zeiten.

Wer war Albert Einstein? Welche Mythen über ihn stimmen nicht?  – Einstein, der deutsche Jude, der leidenschaftliche Segler, der Zionist, der Pazifist, der Sozialist, der vor allem in Deutschland, der Schweiz und Österreich lebte und 1933 dann in die USA ging. Einstein, der politisch denkende Mensch und Philosoph, ein Kind seiner Zeit, seiner Herkunft und seiner Erfahrungen. Einstein, der KEIN schlechter Schüler, KEIN Familienmensch, KEIN schlechter Experimentator war, NICHT naiv und weltfremd, NICHT den Nobelpreis für seine Relativitätstheorie bekam (sondern «für seine Verdienste um die Theoretische Physik, besonders für seine Entdeckung des Gesetzes des photoelektrischen Effekts»), und seine berühmte Formel war NICHT die Grundlage für den Bau der Atombombe. Soweit zum Thema „Missverständnisse und Legenden“.

Viele Bonmots sind ihm zugeschrieben, solche wie „Gott würfelt nicht“, „Geniale Menschen sind selten ordentlich. Ordentliche selten genial.“ Oder „Es ist leichter einen Atomkern zu spalten als Vorurteile.“  Wer kennt sie nicht… Deutschland war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weltweit führend in der Modernen Physik, vor allem der Atomphysik, Einstein damals schon eine Art Popstar dieser Wissenschaft, 1917 zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik berufen. Bis heute, so der Referent, sind die Nachwehen des Kahlschlags in der deutschen Wissenschafts- und Kulturelite durch die Nazis spürbar, die, wie Einstein, emigrierten, vertrieben oder mundtot gemacht wurden.

So erklärt es sich, dass Einstein, der Physikexperte und Pazifist, im Jahr 1939 in einem gemeinsamen Brief mit Leó Szilárd in Absprache mit Teller und Wigner vor dem möglichen Bau einer Atombombe durch Hitler warnte – was in den USA zu einer Eigendynamik mit den bekannten Ergebnissen führte (Einstein bezeichnete das Manhattan-Projekt zum Bau der Atombombe später als „schweren Fehler“). Doch – so Breckow – wir mögen uns den Gang der Geschichte nicht vorstellen, wäre stattdessen Nazideutschland der Bau gelungen…

Einstein der Wissenschaftler – sein Name ist untrennbar verbunden mit seiner Speziellen Relativitätstheorie („nichts ist absolut“), 1905 entwickelt, und, noch mehr, seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (1916) mit der Erkenntnis, dass die Gravitation das Wesen von Raum und Zeit und damit das des Universums bestimmt.  E=mc²   – kaum ein Schulkind kommt an dieser Formel vorbei, die besagt, dass die gespeicherte Energie immer größer ist als die freie Energie. Beispielsweise die Bewegungsenergie. Und mit sportlichem Elan stieg der Referent auf einen Stuhl hinauf und wieder hinab, um die Theorie zu veranschaulichen, dass er vorher und hinterher weniger wog als auf dem Stuhl stehend. Wer hätte sich nicht für die eigene Schulzeit einen solchen Lehrer gewünscht?! Aber Vorsicht, ganz so einfach sei es dann auch wieder nicht…

Nun aber zurück zur Relativitätstheorie und zur Beantwortung der Frage: was bedeutet sie für unser Weltbild? Die Relativitätstheorie erlaubt die Beschreibung ALLER Vorgänge im Universum und somit des Universums selbst. Das ist phänomenal! Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung glaubte man jedoch noch an ein statisches Universum. Große Bedeutung im Kontext der später folgenden Erkenntnis eines sich rasch ausweitenden Universums hat heute aber wieder die damals von Einstein eingeführte kosmologische Konstante Lambda, ein „Kunstgriff“ in der Allgemeinen Relativitätstheorie, die er selbst noch als seine „größte Eselei“ bezeichnete. Heute wissen wir um die Signifikanz der dunklen Energie, die rund 72% ausmacht.

Unsere Erkenntnisse, dass es Schwarze Löcher gibt, Abermilliarden von Galaxien mit ebenso vielen Sternen, Tausende von Expo-Planeten, dass das Universum seit 13,7 Milliarden existiert und dass Gravitationswellen das Geschehen in diesem Raum bestimmen, fußen auf Einsteins Relativitätstheorie. Ohne ihn und seine Erkenntnisse gäbe es das heutige Weltbild nicht.

Ungeachtet der unvermeidlichen Erkenntnis über die eigenen Grenzen des Verstehens fiel der Applaus des Publikums am Ende dieses mitreißenden Vortrags begeistert aus, verbunden mit der Bitte an Dr. Breckow, doch bald wiederzukommen.  

(bt)

*******************************

25.07.2024
Tagesfahrt nach Frankfurt a.M.

Zwei sehr verschiedene Museen standen auf dem Programm der Fahrt nach Frankfurt, die wechselsweise von 2 Gruppen besucht wurden. Durch kurzfristige Abmeldungen ergaben sich angenehme Gruppengrößen, ein Nachteil ist dabei aber immer, dass es durchaus unterschiedliche Eindrücke der Führungen gibt.

Seit Neuem dürfen Reisebusse nicht mehr in der Innenstadt bleiben, für einen kurzen Halt zum Ein- und Aussteigen müsste eigentlich ein 15-Minuten-Parkschein für 5,00 Euro gekauft werden. Da hieß es jedesmal sich zu sputen, um unseren Busfahrer nicht zu sehr zu stressen.

Es ging einerseits ins Romantikmuseum in die Sonderausstellung „Wälder“. Das Thema wird von 3 Museen aus verschiedenen Blickwinkeln bearbeitet. Das Sinclair-Haus in Bad Homburg war schon im vorigen Monat unser Ziel, im Zentrum stand hier die künstlerische Herangehensweise. Das Senckenbergmuseum als naturkundliche Sammlung ergänzte mit der wissenschaftlichen Sichtweise und das Romantikmuseum hatte die Epoche der Romantik als Einstiegspunkt. Texte von Ludwig von Thieck, der das Wort „Waldeinsamkeit“ prägte, Goethes „Wanderers Nachtlied“ und Vogelstimmen, Rauschen, Rascheln und ein dezenter Holzduft schafften eine echte „Waldstimmung“. Märchen und der böse Wolf durften nicht fehlen.

In weiteren Stationen ging es um die Zerstörung der Naturwälder durch extensive Nutzung zur Holzgewinnung, Zersiedlung, Aufforstung mit schnellwachsenden Holzarten sowie die Schädigungen durch Borkenkäfer, Sauren Regen und Stürme aufgrund der Klimaveränderungen.

Den Abschluss bildete die Fragestellung an öffentliche Institutionen aber auch an die Besucher persönlich: welchen Schaden richten wir an – was können wir selbst für eine Regenartion tun.

Das MMK, das Museum für Moderne Kunst in der Domstraße, ist ein architektonisches Highlight: hell, mit Durchblicken, kleinen aber dennoch offenen Räumen. Dadurch ist es aber auch sehr hellhörig, und die Kunstvermittler wären ohne die „Verkabelung“ nur schwer zu verstehen.

Befremdlich ist die Kleidung des Aufsichtspersonals: durch blaue Kittel mit einem Logo hatte man den Eindruck, es wären alles Hausmeister.

Die Ausstellung „There is no There there“ zeigt Werke verschiedener Künstler und auch „Laien“, die jenseits der Heimat entstanden sind. Die Gründe für den Aufenthalt in Ost- und Westdeutschland sind sehr unterschiedlich: politisch motivierte Flucht, Stipendien aber auch finanzielle Gründe. Und entsprechend unterschiedlich sind die Techniken und Motive.

Und auch auf die Frage, wer in die Heimat zurückging oder wer oder warum er in Deutschland geblieben ist, finden sich ausührliche Informationen unter:
https://www.mmk.art/de/whats-on/there-is-no-there-there
(bs)

*******************************

18.07.2024
Dr. Stefanie J. Jung
Wölfe in Hessen

Haben Sie schon mal einen Wolf gestreichelt? Wir schon! Zugegeben – unser  Exemplar lebte schon lange nicht mehr, und es lag auch nur sein Fell aus – das sich weich und gleichzeitig leicht struppig anfühlte. Die Gelegenheit dazu bot sich bei dem Vortrag über Wölfe in Hessen  von Dr. Stefanie Jung, bis 2022 Botanikerin an der Hermann-Hoffmann-Akademie der JLU.

Trotz großer Hitze waren viele Zuhörerinnen gekommen. Kontroverse Aspekte zunächst aussparend, referierte Stefanie Jung über Fakten zum Thema. Der Canis Lupus gehört zur Familie der Hunde. Er wird 30-50 kg schwer, 60-90 cm groß und ca 10-13 Jahre alt. Er läuft bis zu 80 km am Tag und ist bis zu 50 km/h schnell. Er lebt als Einzelgänger, als Paar oder im Rudel mit 6-8 Welpen pro Jahr, von denen ungefähr die Hälfte überlebt. Jungtiere bleiben ca 3 Jahre beim Rudel. Das Territorium ist zwischen 150 und 350 Quadratkilometer groß (zum Vergleich: Gießen= 73 km2). Markiert wird mittels Duftmarken und Heulen.

Im Jahr 1841 wurde in Deutschland im Wald bei Lorsch der letzte Wolf erlegt. Um den Spitzenprädator (nur der Mensch ist sein natürlicher Feind) ranken sich weltweit Mythen und Märchen – wir alle sind mit ihnen aufgewachsen. Gezielt wieder angesiedelt wurden Wölfe  beispielsweise 1995 im Yellowstone National Park, um die Elch- und Koyotenpopulation effektiv einzudämmen und die der Füchse und Grizzlies zu befördern. Das vom Wolf hinterlassene Aas – denn er pickt sich nur die leckersten Teile von seiner Beute heraus – diente anderen Tieren als Futter, das Ökosystem regenerierte sich, Nistplätze nahmen zu, auch Beerensträucher, Bieber, Fische, um nur einige zu nennen. Der Wolf hat also einen wichtigen Platz im Ökosystem.

Nicht so unverzichtbar jedoch war der Wolf in Europa, v.a. in Mitteleuropa. Es ging auch ohne ihn. Doch ca 12.000 Tiere gibt es auf unserem Kontinent, teilweise leben sie sehr isoliert. Wölfe, die in unsere Breitengrade wieder einwandern, kommen aus dem karelisch-baltischen Raum, in Hessen wurde der erste im Jahr 2008 im Reinhardswald gesichtet. 484 erwachsene Wölfe wurden 2022/23 in Deutschland gezählt. Sie leben vor allem von Rotwild und Wildschweinen und reißen meist schwache, kranke und junge Tiere. So gesehen sind sie Helfer der Jäger. Probleme entstehen, wenn sie Schafe reißen (im Jahr 2022 waren es 4.400). Herdenschutzhunde und Elektrozäune bieten Protektion vor solchen Überfällen – der Kauf wird subventioniert und der wirtschaftliche Schaden erstattet.

Dennoch wachsen die Vorbehalte gegenüber den Wölfen, die eigentlich den Menschen meiden. Jedoch immer öfter kommt es zu Begegnungen zwischen Mensch und Wolf –  und diese sind hoch emotional besetzt.  Das zeigte auch die Diskussion, die sich dem halbstündigen Vortrag anschloss. Da gibt es diejenigen, die Wölfe fürchten und sich nicht mehr in den Wald trauen. Diejenigen, die um ihre Hunde als potenzielle Beute bangen oder Angst haben, ihre Kinder oder sie selbst könnten angegriffen werden. Diejenigen, die zerfetzte Beute vor Augen haben. Diejenigen, denen als Schäfer ihre Arbeit erschwert wird. Es gibt aber auch diejenigen, die in Wölfen eine liebenswerte und irgendwie fast vertraute Art erkennen – oft befördert durch ihre ohnehin große Liebe zu Hunden. Diejenigen, die sich Wölfe als Teil unseres natürlichen Umfeldes wünschen und sie als wertvollen Teil unseres Ökosystems sehen.

Konkrete Erfahrung wie am Donnerstag machte die Entscheidung leichter: streicht man dem Wolf über das Fell oder schaut man der jungen schlanken Wölfin in der Vitrine am Eingang der Hermann-Hoffmann-Akademie in die Augen, so kennen die Emotionen eigentlich nur eine Antwort: Ja, liebe Wölfe, es ist richtig und wichtig, dass ihr unter Artenschutz steht und, wie es in der Jäger- und Biologensprache heißt, nicht entnommen, also getötet werden dürft. Und die Geschichte vom Wolf und den sieben Geißlein und vom Rotkäppchen sind eben, das wissen wir doch alle, nichts als Märchen…

(bt)

 *******************************

11.07.2024, Beginn 15:30 Uhr
Gerhard Prölß
Alexander v. Humboldt – der letzte Universalgelehrte

In seinem Vortrag beschreibt Gerhard Prölß aus Marburg einen außergewöhnlichen Menschen und Wissenschaftler.

Von der Mutter ungeliebt, lange im Schatten seines Bruders, ohne jeden Beruf mit eigenem Einkommen fast sein Leben lang – und dennoch wurde er einer der bekanntesten Deutschen weltweit und hochverehrt, vielleicht der genialste Forscher in allen Naturwissenschaften, von denen er einige neue Richtungen begründet hat.

Ein geistiger Riese und ein spannendes Leben: Alexander von Humboldt. Fast in allen Ländern wurde er hochgeehrt, als er mit 90 Jahren gestorben ist am 6.Mai 1859 in Berlin.

(bs)

 *******************************

04. Juli 2024
Dr. Jutta Failing
Ausflug zum Hofgut Schmitte
Eine Perle erinnert sich – eine Hausdame um 1900 erzählt.

Sie weiß von Blutspuren auf der Treppe zu erzählen, die sich nicht wegscheuern lassen. Von Schritten, die aus dem Nichts kommen und wieder gehen. Von Feuersbrünsten in ferner und naher Vergangenheit, von Selbstmorden, von Ritualen und über Herrschaften, die vor und nach ihr kamen und gingen. Die „Perle“, Hausdame derer van der Hoop zur Zeit der 19. Jahrhundertwende, im wahren Leben die Gießener Stadtführerin Jutta Failing, führt durch die frisch sanierten und renovierten Räumlichkeiten des heutigen Biebertaler Boutique Hotels mit Restaurant und Biergarten, Veranstaltungsräumen und Wellnessbereich, in dem Historie und Moderne des „Hofgut Schmitte“ ein neues Ensemble bilden.

Hübsch im Biebertal gelegen, der 1412 erstmals erwähnte damalige Eisenhammer „Waldsmith“ (Waldschmiede) nahe des Bächleins Bieber, an dem entlang früher das Bieberlieschen nach Gießen Kalkstein und Eisenerz transportierte und am Wochenende Bürgerinnen und Bürger mitbrachte, die sich zu Füßen von Gleiberg, Vetzberg und Dünsberg den Gießener Stadtmief aus den Kleidern schüttelten.

Es waren viele, die dort residierten, mit Namen wie Henne von Rodheim, Henne Lesch, Marx Lesch (ein getreuer Diener des Landgrafen Philipp dem Großmütigen, der ihm gegen die Wiedertäufer in Münster half und den Eisenhammer in eine Getreidemühle umbaute, die bis in die 1950er Jahre Mehl produzierte). Da war der Freiherr von Firnhaber zu Eberstein. Da gab es die Brennhausens und schließlich die van der Hoops, zu deren letzten Nachkommen am Ort Dorothea van der Hoop (Doro) gehörte, die 2007 verstarb und noch vielen Älteren in der Region bekannt ist.

Doch wer dort wann was baute und bewohnte lässt sich besser im Internet recherchieren als hier zusammenfassen. Dass sich unter ihnen schmucke Herren befanden, die auch heute noch Damenherzen höher schlagen lassen würden, veranschaulichte die „Perle“ mithilfe diverser Fotos und kleiner Geschichten. Das Inventar, in dem diese wohnten, ist allerdings nicht mehr zu bestaunen, denn die Erbengemeinschaft van der Hoop versteigerte es nach dem Tod von Doro. Die Wipfel der stattlichen Platane im Hof könnten vielleicht auch noch einiges über die Herrschaften erzählen – oder der Taufstein des Hofguts, der 1836 an die Evangelische Kirche von Rodheim ging und noch heute dort verwendet wird. Aber die „Perle“ hat uns in den eineinhalb Stunden schon umfassend und mit viel Charme und Witz ins Bild gesetzt.

Wer nach dem Rundgang nicht kulinarisch verweilen wollte, kann dies ein andermal tun –  auch das Umfeld des Hofguts/Hotels bietet interessante Freizeitmöglichkeiten. Hinter dem Anwesen geht es hinauf in ein großes Waldgebiet mit Trimm-Dich-Pfad und Kneippbecken. Im Ort, in Rodheim, stehen an den Wochenenden die Tore offen zum idyllisch angelegten Gail‘schen Park, in dem einer der Investoren des Hotels, Dr. Wolfgang Lust, mit Familie wohnt.  Hier gibt es in den wärmeren Monaten Ausstellungen und Veranstaltungen. Auch die bereits erwähnte gotische Evangelische Kirche von Rodheim ist sehenswert und keltische Ausgrabungen am nahegelegenen Dünsberg bieten sich an für historisch Interessierte. Und – ein Geheimtipp von mir – am Ortsausgang von Bieber steht der meiner Ansicht nach beste Eis-Truck der Region „da Toni“. Wer dann den Weg zurück nach Hause zu beschwerlich findet, kann eines der Hotelzimmer in der Schmitte beziehen und von alten und neuen Zeiten träumen – denn romantisch ist dieses Fleckchen Erde allemal.

(bt)

 *******************************

27.06.2024
Gabriele Gareis-Stammler, Carmen Lange, Chris Sima
Ich wollte nicht nach England. Ich wollte ich den Zoo.
Lesung zum Gedenken an jüdische Kinder und Jugendliche von

Mehr als 600 Jahre vor der Reichskristallnacht im November 1938 lockte der Rattenfänger von Hameln aus Rache Kinder mit Flötenklängen aus der Stadt. Sie waren nie wieder gesehen. Zwischen Dezember 1938 und August 1939 wurden fast 10.00 Kinder und Jugendliche aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei und Polen von zu Hause nach England verbracht – jedoch in die Sicherheit. Diese beiden Ereignisse verweben die Referentinnen zu Beginn ihrer Lesung inhaltlich und musikalisch.

Doch der Transport der jüdischen Kinder auf sicheres Terrain ist bittere Realität – Hameln hingegen eine Legende. Nur wenige Dinge dürfen mitgenommen werden, nichts von materiellem Wert.

(Foto privat)

Die Referentinnen lesen hierzu Erinnerungen von fünfzehn verschiedenen damals betroffenen Kindern vor – es geht um Vorbereitung und Abschied, Impressionen und Gefühle während der Reise, und das Ankommen in England.  

Die Realität dieser Kinder seit der Machtübernahme der Nazis in Deutschland: Tagtägliche Diskriminierungen, seelische und körperliche Ausgrenzungen und Gewalt. Sie werden zitiert, wie sie in der Schule gedemütigt worden waren, geschlagen, ausgeschlossen – verbannt auf die „Judenbank“ in der letzten Reihe.

Nun der Abschied. Eltern versprechen nachzukommen. Es lebt die Hoffnung. Nicht alle Kinder können dies verstehen und glauben („ihr wollt mich loswerden“). Doch dann sind da positive Signale. Eine zugesteckte Tafel Schokolade im Zug, ein Banner „Welcome to Dover“, rote Doppeldeckerbusse, ein Ferienlager, in dem es Kippers (geräucherten Hering) zum Frühstück gibt und Jungens im Nachbardorf, die mit den noch kürzlich so beschimpften „dreckigen Judenkindern“ Fußball spielen wollen!   Nette Frauen und Männer nehmen sie nach und nach in ihre neuen Elternhäuser mit. Vermögende Familien wie beispielsweise die des Baron Rothschild sogar viel mehr, 26, und sie verhelfen einigen ausreisewilligen Eltern zu Arbeit und Visa. Deren Situation in Deutschland verschärft sich zunehmend, was sich in flehentlichen und nachdrücklichen Anfragen an die Kinder äußert, ob und wann sie denn kommen können. Jedwede Arbeit würde angenommen. Der Jewish Chronicle ist voll von Arbeitsgesuchen.

Zunächst ist die Kommunikation schwierig, doch die Kinder lernen schnell. Zunehmend mischen sich Deutsch und Englisch. Dann oft nur noch Englisch. Als dann jedoch der Krieg ausbricht, gibt es keine direkten Briefe mehr zwischen Kindern und Eltern. Erst nach der Kapitulation werden die Fäden wiederaufgenommen. Doch zu viel ist passiert, wie das Wiedersehen zwischen Esther und ihrer Mutter exemplarisch zeigt. „Ist das Esther?“ „Mother?“ „Du bist jetzt 20“. „21 … ich heiße jetzt Sarah. Ich wollte dass mein Name englisch klingt“. „Ich gehe nach New York. Kommst du mit mir?“ „Ich habe jetzt hier meine Familie.“ „Ich denke an dich, Sarah.“

Eine andere Kindheitserinnerung: „Ich muss sie sehr geliebt haben. Ich weiß nicht mehr, wie sich das anfühlte.“ Und: „Ich liebe Deutschland. Ich liebe England.“  Und: großer Stolz bei der Übergabe des ersten englischen Passes: „Ich liebe beide Länder.“

Einer der Retter war Norbert Wollheim. Mit Frau und Kind wurde er 1943 nach Auschwitz deportiert. Er überlebte als einziger seiner Familie.

Nach diesem einfühlsamen, mit Klezmermusik und Songs untermalten Vortrag bleibt es dem Publikum überlassen, den eigenen Gedanken und Gefühlen zu folgen. Sie nehmen die Losung der getrennten Familien im Herzen mit: „Lass die Sterne der Nacht und die Sonnenstrahlen am Tag die Botschafter deiner Gedanken und deiner Liebe sein. So können wir uns ganz nah sein.“
(bt)

 *******************************

20.06.2024
Sommerfest auf dem Dottenfelder Hof bei Bad Vilbel

38 Damen unternahmen einen Ausflug auf’s Land, um bei bestem Wetter das diesjährige Sommerfest zu begehen. Gleich drei Aktionen bot der Dottenfelder Hof, ein Demeter-Bauernhof mit Tierhaltung, für einen interessanten und vergnüglichen Nachmittag.

Der Hof selbst wurde schon im Jahr 976 urkundlich als „Dudtunfeld“ erwähnt als Versorgungsbetrieb des Klosters Worms. Dabei blieb es bis zur Säkularisierung 1803.

Nach der Gebietsreform 1951 begann eine unruhige Zeit, Spekulanten interessierten sich für das Bauland mit „Potential“ bei Vilbel im Einzugsgebiet Frankfurts. Wie es wirtschaftlich weiterging, von der Gründung der Betriebsgemeinschaft Dottenfelder Hof in 1968 bis heute findet sich unter:

https://www.dottenfelderhof.de/dottenfelderhof/unser-hof/die-betriebsgemeinschaft/

Heute wird nach Demeter-Vorschrift biologisch-dynamischer Landbau und Tierzucht betrieben.

In zwei Gruppen erfolgte ein Rundgang mit Schwerpunkt zur Tierhaltung: man konnte den 80 „horntragenden Schwarz-Bunten“ im Offen-Stall beim Grünfutter-Genuss zuschauen, danach geht es für die Herde zusammen mit den Kälbchen auf die Weiden, wo sie auch über Nacht verbleiben. Die Hühner (natürlich mit Hähnen) können sich tagsüber in einem großen teilweise überdachten Auslauf aufhalten – bei beginnender Dunkelheit gehen sie freiwillig in die Hallen mit den Sitzstangen und den Legemöglichkeiten.

Es werden auch Schweine (ebenfalls alte Rassen) gehalten, sehen konnte man zur Zeit nur eine kräftige, aber erschöpfte Sau die im Außenbereich mit ihren wuseligen Ferkeln untergebracht war – Schweinepest-Alarm machte den Besuch der Stallungen unmöglich.

Es versteht sich von selbst, dass der Hof kein „Bullerbü“ und auch kein Gnadenhof ist. Alle Nutztiere werden letztendlich verkauft, aber aus Hygienegründen nicht selbst geschlachtet. Eier und Milch werden in hofeigenen Betriebsteilen (Backhaus, Käserei und Hofcafé) verwertet und im großen modernen Bioladen sowie auf Wochenmärkten in Bad Vilbel, auf der Konstabler Wache in Frankfurt und in Bad Nauheim verkauft.

In einem Seminarraum war anschließend für Kaffee und Kuchen gedeckt, eine köstliche Kuchenauswahl vervollkommnete den Nachmittag. Halt – nicht zu vergessen war die Möglichkeit, sich im Bioladen mit Brot, Käse, Eiern, Butter ….. einzudecken. Davon wurde intensiv Gebrauch gemacht.

Der Seminarraum dient sonst der Weiterbildung, denn neben der Ausbildung eigener Mitarbeiter werden auch externe Schulungen abgehalten zu biologisch-dynamischen Landbau und Saatzucht.

Für das besondere Projekt „Schulbauernhof“ rundete der Verein die Spenden der Besucherinnen auf 125,00 Euro auf. Gut angelegtes Geld, das den Schulklassen die Produktion der Nahrungsmittel wieder etwas näher bringen soll.

bs (Fotos von privat)

 *******************************

13.06.2024, Beginn 15:30 Uhr  
Prof. Dr. Peter Schubert 
Eigentlich alles ganz einfach –
Minimalismus in der Bildenden Kunst  

Eigentlich wird in jedem Kunstwerk ein Sachinhalt dargestellt, der Künstler bestimmt dessen Form und die Einordnung in ein kompositorisches Ganzes.

Dieses traditionelle künstlerische Gestaltungsprinzip emanzipiert sich in der Entwicklung der Moderne vom Sachinhalt weg, hin zur immer stärkeren Betonung des Forminhalts, ja hin zu dessen absoluter Autonomie – ein Weg hin zum Minimalismus des objektiven Selbstwerts der Form: ein Kreis ist ein Kreis, ein Quadrat ein Quadrat, ein Dreieck ein Dreieck.

Dem sehr anspruchsvollen Vortrag von Prof. Dr. Schubert gelang es, diesen Weg anhand zahlreicher Bildbeispiele aufzuzeigen.

Als erster Maler stellte Kazimir Malevicz in 1915 die erste Version seines berühmte Bild „Schwarze Quadrat“, in der Ausstellung 0,10 aus, ein relativ kleinformatiges Tafelbild, das im oberen linken Winkel quer gehängt ist – an der sonst in Russland üblichen Stelle für Ikonen.

Als Gegenteil zeigt sich „Who’s afraid of red, yellow and blue“ von Barnett Newman (1966-1970 entstanden) – mit 4×5 Meter riesig, überwiegend in heftigem Rot, aber nicht monochrom: ein breiterer blauer und ein schmaler gelber Streifen fordern den Betrachter heraus. Weitere Infos gibt es massenhaft im Internet, Interessantes ist auch https://www.youtube.com/watch?v=cANVBj7KX0U zu finden.

Mit den drei Primärfarben arbeiteten auch Piet Mondiran und Mark Rothko (Untiteld 1953). wenn auch mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Der gleiche Titel wird von Piet Mondrian verwendet, allerdings für ein Gemälde aus dem Jahr 1930. Strenge dicke schwarze, sich kreuzende Linien bilden unterschiedliche Rechtecke, in unterschiedlichen großen, besser gesagt: kleinen Rechtecken an 3 Bildrändern finden sich die genannten Primärfarben. In der Wirkung sind sie aber garnicht „an den Rand gedrängt“, eher im Gegenteil.

Der Vortrag bot mehr als genug Anregung für eigene Recherchen über genauere Informationen. Die inhaltliche Qualität und auch die Vortragsweise – mit teilweise homurvollen ergänzenden Einsprengseln – begeisterte das Publikum zu 3-maligem Applaus.

(bt)

*******************************

06. 06.2024
Dr. Carola Fey
Die Kunstkammer der Herzöge und Herzoginnen von Württemberg

– Kunst und Wissenschaft am Stuttgarter Hof

Kennerinnen wissen es: die Kunstkammer der württembergischen Herzöge war und ist mehr als vorzeigbar. Wobei es damals – heute kaum noch nachvollziehbar – den Gästen der Adeligen und ausgewählten Forschern und Gelehrten vorbehalten war, dort zu flanieren beziehungsweise zu studieren.

Herzog Friedrich I. (1593-1608) legte den Grundstock dieser Sammlung. Er veranlasste Grabungen, sammelte auf seinen Reisen und ließ Gegenstände aus noch nicht säkularisierten Klöstern beschlagnahmen. Später wurden Geistliche dazu aufgefordert nachzuforschen und Funde einzuschicken. Es wurde gekauft, geraubt und geerbt. Auch Herzogin Sibylla war eine eifrige Sammlerin – nach ihrem Tod landeten Gebrauchsgegenstände wie zwei Pokale aus Perlmutt in Schneckenform und filigrane Schalen und Becher aus Elfenbein aus ihrem Besitz in der Kunstkammer.

Zunächst aber ging es darum, Objekte aus Fauna und Flora sowie Geräte, Bücher und Kunstgegenstände zu sammeln, die Fragen bezüglich des Verhältnisses von Mensch und Kosmos aufwarfen und beantworteten. Wissenschaftliche Instrumente für Astronomie, aber auch solche für Vermessungstechnik und landwirtschaftliche Geräte oder entsprechende Modelle sind noch dort. Bestimmte Gegenstände waren damals sogar ein „Must“: Fossilien (hier die Cannstatter Fossilien, gefunden 1700), Bronzen, Münzen, später die obligatorischen präparierten Schildkröten, Meerrosse, Krokodile, Muscheln und Meerschnecken. Die Stuttgarter Sammlung hat all dies, jedoch auch viele einmalige Exponate. Dazu gehören zwei leuchtend farbige Federschilde der Azteken (es gibt nur vier davon weltweit), und eine aztekische Götterfigur von Anfang des 16. Jahrhunderts.

Auch andere Fürsten legten Kunstkammern an, oft unterstützt von Gemahlinnen, die jedoch nicht selbst als Sammlerinnen hervortraten. Herzogin Barbara Sophia, verheiratet mit Johann Friedrich von Württemberg (1582-1628), gab unter anderem vergoldetes Besteck in die Kunstkammer. Gemälde wurden sukzessive gesammelt.

Über die Stuttgarter Kunstkammer, die über die Jahrhunderte hin und herzog zwischen dem alten und dem neuen Lusthaus und Schloss Ludwigsburg, berichtete als erster der Baseler Arzt Felix Platter, später in Reiseberichten andere Persönlichkeiten wie Bernardus Paludanus, ein niederländischer Arzt oder Philipp Hainhofer, ein Diplomat und Nachrichtenkorrespondent.

So erhielt die Stuttgarter Kunstkammer ein Renommee, das sich bis heute hält. Sie zählt zu den größten europäischen Sammlungen dieser Art und kann im Landesmuseum Württemberg im Stuttgarter Alten Schloss besucht werden. Eine grundlegende Studie von Werner Fleischhauer aus dem Jahr 1976 hat seitdem Referenzcharakter. Dr. Carola Fey, die Referentin des Tages in Giessen, arbeitete mit bei einer Studie der Deutschen Forschungsgesellschaft über die Kunstkammer in Stuttgart und publizierte später dazu. So war der Vortrag sehr inhaltsreich und das vermittelte Wissen „aus erster Hand“.

(bt)

*******************************

23.05.2024   
Tagesfahrt nach Bad Homburg

*******************************

16.05.2024
Dr. Jutta Failing
Dicke Säu und enge Gassen –
Plaudereien aus dem alten Gießen


Gießens alte Straßennamen sind ein lebendiges Geschichtsbuch. Die ursprünglichen Namen haben sich im Lauf der Zeiten geändert. Welche Story steckt hinter dem „Teufelslustgärtchen“ vielleicht das Anwesen der Familie Deibel (=Teufel)?

Der „Nahrungsberg“ entwickelte sich aus dem Standort des Narrenhauses, seinerzeit wie üblich weit vor der Stadt angelegt (wie auch Lepra-Häuser).

Um die vielen Straßenbezeichnungen vor Ort richtig einordnen zu können, empfiehlt sich eine reale Stadtführung mit Frau Dr. Jutta Failing. Auf der Website der Tourist-Info sind alle öffentlichen Führungen verzeichnet. Wer mit einer eigenen Gruppe auf Entdeckungsreise gehen will, findet alles dazu bei Frau Dr. Failing unter

https://stadtfuehrung-giessen.de/touren-themen/

(bs)

*******************************

02.05.2024   
Tagesfahrt nach Büdingen und Brachtal

Was hat es auf sich mit den Büdingern und den Fröschen? Dies und viel mehr konnten die Teilnehmerinnen des Tagesausflugs in den Vogelsberg bei einer Stadtführung durch das mittelalterliche Büdingen erfahren.

 „Laut einer Legende heiratete im Jahre 1522 Graf Anton zu Ysenburg und Büdingen Elisabeth von Wied. Nach einem rauschenden Fest im Schloss der Braut, kam das Paar in die Heimat des Grafen – ins Schloss Büdingen. Das Schloss war zu dieser Zeit noch von einem Wassergraben umgeben. In diesem Wassergraben und dem Schlossteich müssen damals sehr viele Frösche gelebt haben, denn die junge Ehefrau konnte wegen des störenden Gequakes der Frösche einfach nicht schlafen. Sie drohte mit der Trennung wenn ihr Gatte den Lärm nicht sofort abstellen würde. Graf Anton wollte seiner schönen jungen Frau alles Recht machen und rief seinen Stadtknecht der noch mitten in der Nacht auf dem Marktplatz verkünden musste, dass die Frösche sofort ausgerottet werden müssten. Die Bürger zogen sofort mit Körben und Eimern los und fingen alle Frösche ein und brachten sie zum Büdinger Marktplatz. Das Gequake war aber weiterhin zu hören. So entschloss man sich, die Frösche im Seemenbach zu ertränken. Gemeinsam zogen alle mit ihren Eimern und Körben zum Mühltor und im Beisein des Grafenpaares wurden dort alle Frösche in den fließenden Bach geworfen, wo sie zappelnd ins benachbarte Düdelsheim abgetrieben seien. Die Nachtruhe in Büdingen war danach wieder hergestellt und Gräfin Elisabeth wurde noch zu einer echten Büdingerin, die sich in dem kleinen Ort sehr wohlfühlte.“ (Text der Kita am Park)

Doch die Aufforderung „sei doch kein Frosch“ traf und trifft sicherlich auf die Büdinger nicht zu.  Nicht nur waren sie wehrhaft unter diversen Fürsten wie derer von Ysenburg und Büdingen, sie streckten auch ihre Fühler aus nach Nahost (in memoriam das „Jerusalemtor“, das noch heute Alt- und Neustadt voneinander abgrenzt) und nahmen – calvinistisch sozialisiert –  diverse Glaubensflüchtlinge auf wie Hugenotten, Waldenser und Herrnhuter. Vorangegangen im 16. und 17. Jahrhundert waren heftige Auswüchse, die dem Ort den Ruch als „Kernzone der Hexenverfolgung“ eingebracht hatten. Schon früh, 1933, kürte die Stadt Adolf Hitler zum Ehrenbürger, und der heute als einer der Köpfe der Reichsbürgerbewegung berüchtigte Heinrich XIII Prinz Reuß ist auch Büdinger.  

Dies tut dem Charme des Städtchens in keiner Weise Abbruch. Vom spätgotischen Steinernen Haus aus, vor 1500 erbaut, über den Marktplatz zum Froschbrunnen, dann durch das Jerusalemtor in die neustädtische Brunostraße mit seiner entzückenden Volksschule und eigenwilligen Villen, dann am Seemenbach entlang, liefen wir zurück in die Altstadt, wo wir uns in einem gut auf Gruppen eingestellten Restaurant stärkten.

Weiter ging`s in den Vogelsberg hinein nach Spielberg, über kleine kurvige Sträßchen, rechts und links saftige Wiesen und viel viel Wald. Erinnerungen von Barbara Toepfer an ihre Kindheit auf dem Fabrikgelände der Wächtersbacher Keramik stimmten ein wenig ein auf das kleine feine Brachttal-Museum in Streitberg, das frühere Schulhaus des Ortes. Dort begrüßten uns unsere Referenten des vergangenen Oktober zum Thema Christian Neureuther und die Wächtersbacher Keramik, Ulrich Berting und Erich Neidhardt, mit einigen Helfern freundlich und freudig.

Hauptattraktion war die von den Mitarbeitern und Bürgerinnen und Bürgern der Umgebung zusammengetragenen Exponate der Designerin Ursula Fesca.  Die von den Kindern in Schlierbach liebevoll „Fräulein Fesca“ genannte Keramikerin leitete die künstlerischen Bereiche in den  Steingutfabriken Velten-Vordamm, Elsterwerda und Wächtersbach – damals war das noch eine Männerdomäne. Sie war also bei der Wächtersbacher Keramik eine der Nachfolgerinnen von Christian Neureuther. Ursula Fesca entwickelte in den 1920er Jahren einen ganz eigenen, vom Bauhaus beeinflussten Keramikstil, der heute im Zuge der Retrowelle wieder „in“ ist. (s.o. Modell Pisa)

Doch auch Stuben mit Küchenmöbeln, alten Gerätschaften und Puppenstuben waren zu sehen, und – vielleicht der größte Stolz – eine Nachbildung der in der Region damals vitalen Bahnlinie Wächtersbach – Birstein, auf der Waren, Holz und Erze wie auch Menschen transportiert wurden, die nach Wächtersbach und von dort aus weiter in Richtung Gelnhausen und Frankfurt bzw. Fulda reisten. Mit viel Akribie und Handwerkskunst und vor allem Liebe zum Detail wurden hier die früheren Gegebenheiten originalgetreu rekonstruiert – entzückend! Zwischendurch gab es lecken Kuchen im museumseigenen Café mit Geschirr aus letzten Jahren der 2011 endgültig geschlossenen Wächtersbacher Keramikfabrik. Ein herzlicher Abschied mit dem Hinweis an Interessierte, dass am 7.7.2024 auf einem Flohmarkt des Museums Wächtersbacher Geschirr käuflich erworben werden kann. Man sieht sich vielleicht wieder.

Vorbei am Eisenhammer, einer ehemaligen Möbelfabrik, die häufig keramische Intarsien verwendete und ebenfalls den Fürsten zu Ysenburg und Büdingen gehört hatte, mit einem kurzen Abstecher auf das ehemalige Fabrikgelände in Schlierbach und Blick auf das Hauptgebäude, in dem Ursula Fesca ihr Atelier hatte, kehrten wir über die A66 und A45 staufrei aber zum Schluss im Regen nach Giessen zurück. Glück gehabt – mit dem Wetter, mit den Referenten, und mit uns selbst, einer munteren interessierten Gruppe von tagesreisenden Damen von Frau und Kultur. Schön war’s J

Hinweise:

  • www.brachttal-museum.de (mit Veröffentlichungen über die Keramik und einzelne Künstler)
  • www.waechtersbach.org (Homepage mit Informationen über die wechselvolle Geschichte der Firma)
  • Karla  Bilang: Ursula Fesca. Vom Bauhaus inspiritiert. Lebensweg und Wirken einer Keramikerin. Trafo Verlagsgruppe Berlin.

(bt)

*******************************

25.04.2024
Dr. Katharina Kemper
Lebensmittel – Mittel zum Leben

Ein Schnellkurs zum Thema Lebensmittel gefällig? Den konnte bekommen, wer am Donnerstag abend im Netanyasaal war. Die Lebensmittelchemikerin Katharina Kemper, mit jahrzehntelanger Berufserfahrung in Labor, Industrie und Überwachung, gab in einer guten Stunde einen Überblick über Gütekriterien von Lebensmitteln und gutem Essen und die für die Überwachung zuständigen Institutionen.

Unverzichtbar für jeden Menschen sind Proteine, Zucker, Fett, Vitamine, Mineralstoffe und Flüssigkeit. Diese sollten frisch, ausgewogen, vielfältig, rein und von guter Qualität und angemessener Quantität sein. Für die Lebensmittelsicherheit sind Hersteller und Handel verantwortlich, der Gesetzgeber gibt dafür den rechtlichen Rahmen vor. Darzustellen, welche Kriterien dabei eine Rolle spielen und was konkret geprüft wird, würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen. Deutlich wurde jedoch in Frau Kempers Vortrag, dass wir in Deutschland und in der EU über umfassende Strukturen und Vorgaben verfügen, die es weitestgehend ermöglichen, uns zu informieren, eine gezielte Auswahl zu treffen und dabei Produkte zu meiden, die unsere Gesundheit und die Umwelt schädigen. Besonders erwähnt wurden Produktions- und Transportbedingungen (z.B. Wasserverbrauch für Avocados), jahreszeitliche Aspekte (Weintrauben im Frühjahr), die Manipulation von Rohstoffen (Genmanipulation) und deren Folgen für die Natur, versteckte Zucker und die Fallstricke weiterverarbeiteter Nahrungsmittel, die uns durchaus zunächst gesund erscheinen mögen (vegane Ernährung).

Verbraucherzentralen, Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung informieren und – gegebenenfalls – warnen bei Verunreinigungen, denn Hygiene und Sauberkeit sind entscheidende Faktoren, um gesundheitliche Risiken und Schädigungen zu minimieren. Wichtige Online-Quellen: www.lebensmittelklarheit.de und www.lebensmittelwarnung.de. Es ist jedoch niemand aus der Verantwortung entlassen, sich selbst als Verbraucher zu informieren (Inhaltsstoffe/Zusatzstoffe beachten, den Nutriscore nutzen), saisonale und regionale Produkte zu präferieren und möglichst auf Süßstoffe zu verzichten.

(bt)

*******************************

18. April 2024
Dr. Andreas Ay
Joseph Maria Olbrich – die Jugendstilräume für Großherzog Ernst Ludwig von Hessen

Wo und wie residierten Großherzog Ernst Ludwig von Hessen (1868-1937), Enkel von Königin Victoria und Vetter des späteren Kaiser Wilhelm II, und seine zweite Ehefrau, Eleonore zu Solms- Hohensolms-Lich (1871–1937) , wenn sie in die oberhessische Provinzhauptstadt Gießen kamen? In einem eigens gestalteten Apartment im „Alten Schloss“, vergleichsweise beengt, um es vorwegzunehmen, aber in erlesenem Ambiente, 1891 anlässlich des Umbaus des Gebäudes erschaffen von dem Jugendstilmeister Joseph Maria Olbrich (1867-1908). Dort hielt sich das Paar bis Ende des 1. Weltkrieges immer wieder auf, verlor dann aber das Wohnrecht. Bei einem Angriff englischer Lancaster Bomber am 12. Dezember 1944 wurden Wohnung und Möbel fast völlig zerstört. Nur ein Frisiertisch aus Ahorn, mit Intarsien verziert, blieb erhalten.

Dr. Andreas Ay, ursprünglich Biebertaler Bub und Außenhandelskaufmann, ist Giessenern und der kunsthistorischen Szene insbesondere als freier Mitarbeiter des Oberhessischen Museums und als Kurator einer Sonderausstellung im Jahr 2019 bekannt. In seinem Vortrag im April 2024 zeigte er Skizzen, Fotos und Dokumente aus jener Ausstellung, mit deren Hilfe er rekonstruiert hatte, wie die Großherzogliche Wohnung damals aussah.

Zunächst jedoch führte Ay in die Thematik Jugendstil und dessen Vertreter im Inland und benachbarten Ausland ein. Er machte seine Zuhörer und Zuhörerinnen mit dem Österreicher Olbrich und dessen Werdegang bekannt – ein spektakulärer Künstler, prägende Figur des Jugendstils und Schöpfer des Hauses der Secession in Wien 1898. Ernst Ludwig wurde durch die Skizze eines Handleuchters auf ihn aufmerksam, lud ihn nach Darmstadt ein und berief ihn zum Leiter der dortigen Mathildenhöhe. Bekannt wurde er damals vor allem durch seinen Hochzeitsturm. Mit seiner Mutter Alice, zweite Tochter von Queen Victoria, hatte sich Ernst Ludwig schon als Kind häufig am englischen Hof aufgehalten und die Arts und Crafts Movement kennengelernt, die großen Einfluss auf die Jugendstilbewegung hatte.

Großherzog und Künstler fühlten sich sehr verbunden, und so beauftragte der Großherzog Olbrich mit der Gestaltung der herzoglichen Wohnung im linken Trakt des ersten Stockwerks des Gießener Schlosses, in dem heute das Museum ist. Spektakulär aus damaliger Sicht waren die dominierenden gestalterischen Elemente Quadrat, Rechteck und Raute. Die Üppigkeit bisheriger Stilrichtungen wich einer Schlichtheit mit reduzierten Formen. Licht spielte als gestalterisches Element eine große Rolle. Der verschachtelte Grundriss des Gebäudes erschwerte die Innengestaltung – jeder Winkel wurde genutzt, und zwar nicht irgendwie, sondern mit jeweils beabsichtigter Wirkung.

Am 02.08.1907 wurde die Wohnung (das gedeckelte Budget belief sich auf ca 50.000 Mark) an das Herzogspaar übergeben – ein Gesamtkunstwerk Olbrichs mit „ästhetischen Enklaven“. Nichts sollte verändert werden. Überliefert ist, dass Ernst Ludwig und Eleonore jedoch ungeachtet dessen Möbel rückten…

Eine persönliche Anmerkung: Für diejenigen, die 2019 in der Ausstellung waren, bedeutete der Vortrag von Herrn Ay sicherlich eine schöne Erinnerung. Für die „Neuen“ vielleicht eine Inspiration, sich näher mit den Themen zu beschäftigen – mit der Geschichte des Gießener Schlosses, mit  damaligen örtlichen Mäzenen wie Gail und Schirmer, mit Architekten wie Hofmann, mit dem Jugendstil und seinen Vertretern wie Olbrich, Horta, Pankok, Wagner, dem Möbelfabrikaten Glückert, der im Parterre ein Speise- und Audienzzimmer einrichtete (heute Netanya Saal),  und/oder der herzoglichen Familie. Ein schöner Einstieg: „Die großherzogliche Wohnung in Giessen“ von Hans-Joachim Weimann oder Dokumentationen über die Ausstellung selbst (online).

https://jlupub.ub.uni-giessen.de/bitstream/handle/jlupub/4401/MOHG_94_2009_S45_62.pdf?sequence=1&isAllowed=y

(bt)

*******************************

11.04.2024
Halbtagsfahrt nach Friedberg
Nur für angemeldete Mitglieder

              *******************************

04.04.2024
Annina Schubert                                                                                
Ottilie von Goethe. Mut zum Chaos!    
 

Durch ihre Ehe (1817) mit August von Goethe, einem unehelichen Sohn des berühmten Dichters, wurde die geborene Freiin Ottilie Wilhelmine Ernestine Henriette von Pogwisch Mitglied des Haushaltes von Johann Wolfgang von Goethe am Weimarer Frauenplan, und dessen Schwiegertochter. Der Vater Baron von Pogwisch, die Mutter eine geborene Henckel von Donnersmarck – sie kam sie aus uraltem adligen Haus – wenngleich aus einer zerbrochenen und verarmten Familie, in der ihre Mutter nach der Trennung die beiden Töchter als Hofdame durchbringen musste.

Ottilie (1796-1872) und ihre Schwester Ulrike lebten zehn Jahre lang im Hause Goethe. Der Ehe, von August hartnäckig erwünscht, entsprangen zwei Söhne und eine Tochter. Später (1835) folgte in Wien noch eine uneheliche Tochter. Doch die Ehe verlief unglücklich und endete mit Augusts Tod auf einer „Grand Tour“ im Jahr 1830 in Italien. Dauerhaft hingegen war ihre Freundschaft mit Adele Schopenhauer, und dauerhaft blieb auch ihre wachsende Tochter-Vater Beziehung mit Johann Wolfgang, mit dem sie, beispielsweise bei der Ausarbeitung des Faust Teil II, zusammenarbeitete und für den sie übersetzte. Doch sie wirkte auch selbstständig. 1829 beispielsweise gründete sie die Zeitschrift Chaos.

Die Ära Weimar endete mit dem Tod ihres Schwiegervaters 1932. Ottilie lebte – ihrer inneren Unruhe entsprechend – in Wien, Italien, und immer wieder in Weimar, wohin sie 1870 dauerhaft zurückkehrte und 1872 starb. Beerdigt wurde sie im Familiengrab der Goethes.

Wer war diese Frau, die sich selbst als „liebenswürdig, unerträglich, geistreich…“, auf jeden Fall als äußerst lebendige Frau beschrieb? Annina Schubert, Germanistin und Kunstgeschichtlerin, heute vor allem freiberufliche Führerin und dem Romantikmuseum in Frankfurt sehr verbunden, vermittelte in ihrem Vortrag mit großer Begeisterung ein Portrait dieses Wirbelwindes. Ottilie malte, auch sich selbst („Allerlei“) und Maskenblätter. Sie dichtete. Sie war ausgesprochener Byron Fan, liebte die Poesie. Sie war sprachbegabt, ihre „language of the heart“ war Englisch. Mit ihren Chaosheften 1829- 1831 ermunterte sie viele Menschen zum Schreiben. Unter Pseudonymen schrieben hier auch Persönlichkeiten wie Goethe selbst oder Mendelssohn-Bartholdy  – die Auswahl der Werke behielt  Ottilie sich jedoch als Redakteurin selbst vor. Die Lektüre war allerdings ausschließlich dem Autorenkreis vorbehalten. Auch junge englischsprachige Männer wurden von ihr nach Weimar eingeladen um mitzuwirken – Voraussetzung: mindestens eine Übernachtung im Ort. Dass dies ihrem Ruf als ohnehin sehr unkonventionelle Frau, die nichts von Haushaltspflichten hielt und schon während ihrer Ehe diverser Liebschaften verdächtigt wurde, nicht zuträglich war, verwundert nicht.

In ihren späteren Jahren vertiefte sich Ottilie immer mehr in ihren Interessensbereich Kunst. Sie etablierte eine eigene Sammlung und machte sich damit einen Namen. Nachlass findet sich im deutschsprachigen Raum im Goethehaus Frankfurt, in der Jenaer Bibliothek und im Goethe-Museum Düsseldorf. Weitere Spurensuche nach Ottilie – sie dürfte sich „lohnen“…
(bt)

              *******************************

21.03.2024
Gabriele Clement
Frauen erobern den Himmel – Pionierinnen der Luftfahrt 

Haben Sie Flugangst? Gabriele Clement empfiehlt einen Ausflug mit einem Zweisitzer – je kleiner desto besser. Da bliebe keine Zeit mehr für Angst…

Reisende, auch fliegende, und schreibende Frauen sind Gegenstand von Gabriele Clements Nachforschungen. Die frühere Leiterin der Volkshochschule Marburg Biedenkopf, nach wie vor gefragte Referentin zu diesen Themen, nahm das Publikum mit in die Welt der Fliegerinnen, namentlich Marga von Etzdorf, Elly Beinhorn und vielen anderen.

Tolle kühne Frauen wie Wilhelmine Reichard, die 1811 die erste Ballonfahrt als Frau wagte, Käthe Paulus, die 1893 aus 1.200m Höhe mit einem Fallschirm den Sprung in die Tiefe riskierte, Melli Beese, die 1911 als erste Deutsche den Pilotenschein machte und ein Jahr später eine eigene Flugschule gründete… drei der vielen bahnbrechenden Frauen, die etwas taten, was die Männerwelt ihrem/unserem Geschlecht wegen vermeintlicher Unfähigkeit nicht zutrauten – und dann, als der Gegenbeweis angetreten war, nicht zugestehen wollten und vielfältig boykottierten, verhinderten, verunglimpften. Rekorde wurden verschwiegen, Fliegerinnen gemobbt, ihrer fliegerischen Exzellenz die Anerkennung verweigert. Erfolgreiche tollkühne Frauen in fliegenden Kisten durfte es nicht geben, diese Domäne war den Männern vorbehalten. Und so ist es im Grunde genommen noch heute.

Gabriele Clement kontrastierte zwei Frauen exemplarisch: Marga von Etzdorf, die „Pechmarie“ und Elly Beinhorn, die „Goldmarie“. Marga von Etzdorf (1907-1933) flog ihre eigene knallgelbe Junkers A50 ce junior namens „Kiek in die Welt“. Sie legte, in jenen Zeiten oft unvermeidlich, viele Bruchlandungen hin. Die ausgebildete Pilotin flog Strecke und wurde 1928 die erste Kopilotin bei der Deutschen Lufthansa. Sie war eine versierte Kunstfliegerin, wie die meisten ihrer Zunft, und darüber hinaus Segelflugexpertin, riskierte Alleinflüge wie den legendären Langstreckenflug nach Tokio in 11 Flugtagen, und strandete 1933 im damals französisch besetzten Aleppo, wo sie sich selbst erschoss. Es wird angenommen, dass sie in Waffengeschäfte verwickelt war. Das tragische Ende eines kurzen Lebens, als Heldin von den Nazis hochstilisiert, aber letztlich vor allem eine hochbegabte unglaublich mutige talentierte Fliegerin und Frau.

Elly Beinhorn hingegen (1907-2007), ihre Freundin, lebte ein ganzes Jahrhundert lang.  Elly flog eine Messerschmitt M 23b, später eine Bf 108, „Taifun“ genannt. Auch sie war ausgebildete Pilotin und Kunstfliegerin und machte viel von sich reden, beispielsweise mit ihrem Alleinflug nach Guinea-Bissau 1931. Sie interessierte sich für Ethnologie und arbeitete mit Völkerkundlern zusammen. 1932 überflog sie in acht Monaten alle fünf Kontinente. Weitere spektakuläre Alleingänge folgten, über die sie  schrieb. Anders als Marga war sie eine medienwirksame Ikone, ein Publikumsliebling. Ihre kurze Ehe mit dem renommierten Rennfahrer Bernd Rosemeyer, mit dem sie Sohn Bernd hatte, dauerte nur zwei Jahre und wurde durch seinen tödlichen Unfall jäh beendet. Später hatte sie mit Ehemann Karl Wittmann noch eine Tochter, Stefanie. Sie hinterließ über ein Dutzend Bücher.

Doch da waren noch viele andere „Damen der Lüfte“, begabte, couragierte und erfolgreiche Fliegerinnen wie Thea Rasche (das „Flying Fräulein“), Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg (eine äußerst technikbegabte Fliegerin und Ingenieurin, im 2. Weltkrieg unverzichtbar für die Deutsche Wehrmacht), Liesel Bach (die „Kunstflugkönigin“), Vera von Bissing (die „Loopingkünstlerin“), Hanna Reitsch (die „Opportunistin“) und Beate Uhse (die „Stuntpilotin“), die später das bekannte Imperium mit Hygiene- und Sexartikeln aufbaute.

All diese und weitere Damen waren jedoch nicht nur toll und kühn, sondern auch bahnbrechend modisch. Geflogen wurde zunächst im offenen Cockpit, in Eiseskälte, Wind, Regen, gleißender Sonne und anderem Unbill. Die Frauen mussten sich schützen, Hosen waren zunächst tabu, die Ladies jedoch erfinderisch. Und modisch höchst attraktiv und selbstbewusst. Die Fotos von ihnen zeugen davon.

Ein spannender Themenkomplex. Gabriele Clement gelang es, ihre Zuhörerinnen einzufangen und mitzunehmen in diese Welt der Extreme, des unglaublichen (Wage)Mutes, der Besessenheit von dem Glücksgefühl, „über den Wolken“ zu sein. Der Funke sprang über – denn, Hand auf’s Herz, wären wir nicht alle gerne ein wenig toller und kühner als wir es uns erlauben?

(bt)

*******************************

14.03.2024
Suzanne Bohn
Colette – zum 70. Todestag

Als „Grande Dame der französischen Literatur“ wird Sidonie Gabrielle Colette im Deutschlandfunk ein Jahrhundert später bezeichnet, als „Pariser Skandal-Schriftstellerin, geliebt, gehasst, bewundert“ (Spiegel). Unstrittig: Colette (1873-1954) war die Erste ihres Genres, die sich alleine von ihrer Arbeit ernähren konnte – und zwar durchaus gut. Sie brach Tabus in der französischen Gesellschaft nach dem 2. Kaiserreich, nichts weiter im Hintergrund als eine kleinbürgerliche zerrüttete Familie, im Dorf geächtet und skandalträchtig, und einem Hauptschulabschluss. Zeit ihres Lebens warf ihre neurotische kontrollsüchtige Mutter Schatten auf Colettes Leben – von ihr gehasst, verleugnet und, spät noch, verherrlicht.

Henry Gauthiers-Villars, genannt „Willy“, ein Salonlöwe und Schwerenöter und ihr erster Ehemann, zwang sie, ihre berühmten „Claudine“ – Romane unter seinem Namen zu veröffentlichen. Langsam emanzipierte sie sich jedoch aus dieser toxischen Beziehung zu einer Rebellin mit dem Credo „ich mache was ich will“.  Sie schrieb, hatte Sex und Beziehungen mit Menschen vieler Couleur und Altersgruppen inklusive ihres späteren Stiefsohns, gab sich androgyn und mißachtete so ziemlich alle gesellschaftlichen Konventionen der damaligen Gesellschaft. Als Feministin sah sie sich jedoch keineswegs, die „gehören ausgepeitscht“. Sie war, so die Referentin, ein Biest.

Doch dann gerieten ihre schriftstellerischen Aktivitäten in den Hintergrund und sie arbeitete als Schauspielerin und Tänzerin mit viel Tingeltangel und Auftritten in Etablissements wie das Moulin Rouge. Sie erwarb sich einen Ruf, mit dem sie sich in bestimmten Kreisen nie wieder rehabilitieren konnte. Auch in dieser Phase ihres Lebens, in der sie sehr viel Sport trieb, war sie authentisch, grenzenlos und unersättlich. Zwei Novellen entstanden.

Dann ein weiterer biografischer Bruch. Durch ihre Heirat mit Baron Henri de Jouvenel des Ursins, Politiker, Journalist und Diplomat, wurde sie ein anerkanntes Mitglied der französischen Gesellschaft. Die Baronin schlüpfte in eine andere Rolle – die der begabten Journalistin mit scharfem Blick, die aus vielen Perspektiven schrieb – und nie über Politik. Im Jahr 1913 gebar sie eine Tochter – die später in ein Internat abgeschoben wurde und ihr Leben lang „NICHTS machte, einfach nichts“, obwohl vielfältig begabt. So Suzanne Bohn, die Referentin des Nachmittags,  mit viel Temperament und Liebe zum Detail (und, wie bei allen ihren Vorträgen, mit deutlicher Kritik an den noch heute wirksamen Strategien der Männer, Frauen im öffentlichen Diskurs „verschwinden“ zu lassen und auszugrenzen). Mit fast atemberaubender Geschwindigkeit zeichnete sie ein Bild von Colette, das diese in all ihren Widersprüchlichkeiten als außergewöhnliche Frau und Schriftstellerin erstrahlen ließ.

Colette, die „schönste französische Schriftstellerin“, war sehr reiselustig und berichtete über ihre Exkursionen. Starke Frauen waren ihr Thema, Einsamkeit… Alle ihrer Novellen hatten autobiografische Anteile. Doch es ging ihr wieder nicht gut. Sie machte keinen Sport mehr, „aß sich krank“, nahm immer mehr zu und verliebte sich in Maurice Goudeket, Jude, Geschäftsmann und Schriftsteller, mit dem sie dann noch fast 30 Jahre lang zusammen war. Mit ihm lebte sie auf großem Fuß, bis er 1929 sein gesamtes Vermögen verlor. Doch Colette gab nicht auf. Nicht nur hielt sie zu ihm bis zu ihrem Tod. Sie arbeitete hart und erfolgreich. Für „La Republique“ schrieb sie täglich einen Artikel. Auch als sie, schon geplagt von heftiger Arthrose und den Folgen ihres Übergewichts, bettlägerig war, blieb sie aktiv. Fünf Jahre vor ihrem Tod wurde sie noch Präsidentin der Académie Goncourt, als erste Frau! Und 1953 wurde sie ausgezeichnet, als Grand Officier der Ehrenlegion. Gesellschaft und Staat wussten sie zu schätzen. Sie bekam 1954 das erste Staatsbegräbnis einer Frau in Frankreich. Nur die katholische Kirche verweigerte ihr den Segen.

Suzanne Bohn, diese engagierte und faszinierende Germanistin, ließ Colette, deren „dunkle Seiten“ in diesem Chronikbeitrag nur angedeutet werden, für ihr Publikum aufleben. Was für eine Frau! Es lohnt sich, sich weiter mit ihr im zeitlichen Kontext zu beschäftigen. Finde ich…

(bt)

******************

07.03.2024, Beginn 15:30 Uhr
Dr. Ludwig Brake
Henriette und Isabella – Zwei Frauen und ihre „Kochbücher“

„Eine kulturelle Vorspeise zum Internationalen Tag der Frau hat Dr. Ludwig Brake in seinem Vortrag „Henriette und Isabella – Zwei Frauen und ihre „Kochbücher“ . Flankiert wurde der kurzweilige Vortrag durch die Vorstellung eines Menüs aus dem 19. Jahrhundert, vorgetragen von Marina Gust-Brake ……“

Quelle: Gießener Allgemeine, 12.03.2023

*****************

28.02.2024
Dr. Stephanie Jung
Walfang – früher und heute

Leider war der Große Hörsaal noch gesperrt


Von Pottwalen und Tranfunzeln berichtete am 28.03.2024 Dr. Stefanie Jung in der Hermann-Hoffmann-Akademie vor etwa 30 interessierten Mitgliedern und Gästen von Frau und Kultur Gießen. In ihrem Vortrag „Walfang – früher und heute“ spricht sie über die historischen und ökonomischen Aspekte des Walfangs.

Walfang gibt es bereits seit 7000 Jahre, so lassen es steinzeitliche Zeichnungen vermuten. Erstmals „kommerziell“ gejagt haben die Basken im Golf von Biscaya (ca. 12. Jh.) Sie waren spezialisiert auf Grindwale. Die Bejagung war so intensiv, dass keine Bestände mehr vorhanden waren. Da entdeckte ca. 1596 Willem Barents und einige Jahre später W. Poole auf ihren Entdeckungsreisen bei Spitzbergen ein reiches Vorkommen von Grönlandwalen. Bald begannen Engländer und Niederländer und ab 1644 deutsche Schiffe aus Hamburg und Altona mit der sogenannten  Hochseejagd in den Gewässern vor Spitzbergen. Auch Nordamerikaner begannen sich zu beteiligen und es kam zu blutigen Scharmützeln, wie auf Gemälden dieser Zeit dargestellt.

Die getöteten Wale wurden komplett verarbeitet. An Land gab es große Trankochereien. Das Fett war ein gesuchter Artikel, es diente als Brennstoff und industrieller Rohstoff (Margarine, Nitroglyzerin, etc.) Die Firmen Henkel und Unilever stellten Seife und Waschpulver her. Das Fleisch wurde zu Dünger verarbeitet und Ambra brauchte man in der Parfümindustrie.

Der Pottwal wurde wegen des Walrats im 19. Jh. besonders von amerikanischen Walfängern aus Nantucket gejagt und dezimiert. Walrat eignet sich zur Herstellung zu besonders hell brennenden Kerzen, Kosmetika und Schmiermittel.

Aus den Barten der Bartenwale (Blauwale) wurde Fischbein hergestellt (Korsett) bis im 20. Jh. steife, aber elastische Kunststoffe (z.B. Nylon) und andere Materialien den tierischen Werkstoff ersetzten. Frau Dr. Jung zeigte entsprechende Exponate. Sie erläuterte, dass das Wort „Tranfunzel“ aus dieser Zeit stammt. Mit dem ausgelassenen Fett wurde die „Funsel“ genährt – eine schlecht brennende Öl – bzw, Fettlampe.

Da durch die Überfischung/Ausrottung der Wale der Bestand im Norden zurückging, wandte man sich dem Südpol (Südgeorgien) zu. Hier entstanden in im 20. Jh. ganze Walfangstädte

In den 1980er Jahren wurde durch ein Moratorium die Walfangquote auf 0 gesetzt, Norwegen und Japan jagen aber immer noch (angeblich der Tradition wegen, in Japan zu sog. Forschungszwecken ). In Island wurde bislang keine neue Konzession beantragt.

Die Bestände der Wale sind heute nicht mehr gefährdet, lediglich die Situation des Pottwals wird als „verletzlich“ eingestuft. Der neue Feind der Tiere ist heute der Müll, die Schiffe auf den Weltmeeren, Öl und auch der Klimawandel. Veränderte Temperaturen tragen dazu bei, dass sich die Futterplätze der Tiere verändern und die Wale die neuen Plätze nicht mehr finden.

Pottwale jagen mit Schallwellen und Herman Melvilles Buch „Moby Dick“ basiert auf dem Tagebuch des Walfängers Owen Chase.

In der Akademie ist auch ein Embryo eines Wales zu sehen (ca. 3 Monate), den der Gießener Zoologieprofessor Ankel von einer Expedition mit Hans Hass 1953 mit nach Gießen brachte.

Ein rundum gelungener Nachmittag und Frau Dr. Jung wurde noch vor Ort gebeten für das 2.Hj. 2024 einen weiteren Vortrag zu halten.

Fotos priv. HS, Text (ab)

*****************

22.02.2022
Friedrich W. Volck
Wasser ist ein ganz besondrer Saft

Wo gibt es heutzutage noch eine für alle öffentlich zugängliche und ganz persönliche Auffrischungsstunde zum Thema H2O – und das auch noch fast kostenlos? Bei Frau und Kultur.

Entspannt auf bequemen Stühlen im Netanya Saal sitzend fühlte sich so manche Zuhörerin ein halbes Jahrhundert und mehr zurückgebeamt in den einstigen Unterricht über Moleküle und chemische Verbindungen – und zwar von Friedrich Volck, pensionierter Gymnasiallehrer aus Alzenau und gern gesehener Gast bei uns. In Anspielung auf Goethes „Faust“ („Blut ist ein ganz besondrer Saft“) zeichnete der Referent ein umfassendes Bild von den physikalischen Eigenschaften dieser Wasser-Sauerstoff Verbindung, ohne deren Existenz vor allem in flüssigem Zustand unser Leben nicht möglich wäre, die aber in festem oder gasförmigem Zustand (ein Dihydrogenmonoxid)  Leben auch angreift (z.B. Verbrennungen) und auslöscht.

Dabei spielen die Wasserstoffbrückenbindungen, aus denen Tetraeder entstehen, die entscheidende Rolle.

Vor allem die bei der Eisbildung entstehenden vielfältigen Kristalle, von Fotografen wie Wilson Bentley verewigt (auch als „Snowflake-Bentley“ bekannt mit seinem 1931 erschienenen Bildband Snow Crystals), entzücken uns im Winter. Und da wäre auch Kenneth Libbrecht zu nennen, der bekannt ist für seine wissenschaftlichen Studien und Fotografien.

Wasser – H2O – besitzt in den verschiedenen Aggregatzuständen fest, flüssig und gasförmig besondere Eigenschaften, die es von anderen Substanzen unterscheidet. Eis hat eine geringere Dichte als Wasser, daher schwimmt es auf der Oberfläche. Die größte Dichte hat Wasser bei +4 Grad. Ist beispielsweise ein See überfroren, steigt die Wassertemperatur nach unten hin und Lebewesen wie Fische müssen nicht sterben. Wasser hat eine hohe Siede- und Schmelztemperatur – Wasser hat also einen sehr großen Temperaturbereich, in dem es flüssig sein kann, und eignet sich daher hervorragend als Lösungsmittel für andere Substanzen. Wasser erwärmt sich nur unter hoher Energiezufuhr und daher langsamer als die Erde. So entsteht ein Kreislauf in der Natur, bei dem der Wind eine große Rolle spielt – wir nennen es Wetter.

Warum und wann schwitzen wir? Warum sehen wir fallende Tropfen nur solange sie hängen? Warum kann sich Wasser über einem Glas wölben? Welche Rolle spielt dabei die Oberflächenspannung? Vielleicht ein guter Anlass, noch einmal in den alten Heften zu kramen oder das www zu bemühen – um das zurückzuholen was wir vielleicht vergessen haben – oder das zu verstehen, das uns früher mangels persönlicher Motivation oder schülergerechter Didaktik entglitt oder entging. Der Anstoß ist gegeben … danke, Friedrich Volck.
(bt)

*****************

01.02.2024 – Beginn 15:30 Uhr 
Dr. Frank Berger
Das Geld der Dichter und Dichterinnen
in der Zeit der Romantik    

Bis vor kurzem war Dr. Frank Berger Kurator am Historischen Museum Frankfurt, zuständig für das Münzkabinett und ausgewiesener Experte zum Thema Zahlungsmittel der Romantik. Deren Bezeichnungen kennen wir noch: Taler, Gulden, Batzen, Kreuzer, Groschen, Louisdor… Was Frank Bergers Vortrag jedoch besonders interessant machte war, dass er die Währungen in Euro umrechnete und sie gleichzeitig in den Kontext der damaligen Lebenshaltungskosten und Jahreseinkünfte der Menschen in der Zeit der Romantik (1795 bis 1835) stellte. So gaben ca 70% der Bevölkerung 62% ihres Einkommens für Nahrung, 16% für Kleidung, 12% für Wohnen und 5% für Heizen und Beleuchtung aus. Man vergleiche Heute geben wir durchschnittlich 14% unseres Einkommens für Nahrung aus.

Das Brutto-Jahreseinkommen, lag damals bei 200 Talern, umgerechnet €40.000 brutto. Ca 50-70% der Bevölkerung – je nach Standort – verfügten über dieses Einkommen – das gleichzeitig die Armutsgrenze markierte. Die Mehrheit der Menschen lebte also in prekären Verhältnisse.

Und wie stand es um die kulturelle Schaffenskraft einer Gesellschaft und ihrer Individuen, die an oder unter der Armutsgrenze lebten? Nicht gut. Folglich kamen die Dichterinnen und Dichter der Romantik – ich greife hier vor – aus gut betuchten Familien. Der Referent stellte vor: Sophie von La Roche (1730-1807), Clemens Brentano (1778-1842), Bettina von Armin (1785-1859), Sophie Mereau (1770-1806), Karoline von Günderrode (1780-1806) und Ludwig Emil Grimm (1790-1863).

Sophie von La Roche, zu ihrer Zeit Bestsellerautorin, verfügte über ein Vermögen von 16.000 Gulden, war also reich. Ihr Honorar wurde nach Druckbögen bezahlt – ein schönes aber erfolgsunabhängiges Zubrot. Clemens Brentano war der Sohn des reichsten Mannes der Stadt Frankfurt, Peter Anton Brentano, der der Familie ein Vermögen von umgerechnet 130 Millionen Euro hinterließ. Seine Brüder verwalteten das Geld umsichtig, aber immerhin standen ihm jährlich ca 80.000-230.000 heutige Euros zur Verfügung.  Bettina von Arnim, seine Schwester (beider Großmutter: Sophie von La Roche), erbte 50.000 Gulden. Und so geht es weiter: Sophie Mereau heiratete in zweiter Ehe Clemens Brentano und kam selbst aus einem wohlhabenden Elternhaus.

Die Günderrodes allerdings waren zwar ein führendes Frankfurter Partiziergeschlecht, durch den frühen Tod ihres Vaters lebte Karoline von Günderrode jedoch in bescheidenen finanziellen Verhältnissen und begab sich, 17jährig, in ein adliges evangelisches Stift, wo sie jung verstarb. Auch Ludwig Grimm, einer der Grimm-Brüder und Maler, lebte in eher bescheidenen Verhältnissen. Reich wurde man damals kaum durch das eigene künstlerische Schaffen – die Herkunft bestimmte die überwiegend komfortablen finanziellen Verhältnisse. Zwei der wenigen Ausnahmen waren Jean Paul (1763-1825), der, so Frank Berger auf Anfrage aus dem Pubikum, tatsächlich durch sein Schreiben zu Wohlstand kam, und der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814). Im späteren Leben am meisten aus der Reihe tanzte Bettina von Armin, die zunehmend sozialkritisch aktiv wurde und verdächtigt wurde, für den schlesischen Weberaufstand mit verantwortlich gewesen zu sein.

(bt)

*****************

25.01.2024 – Tagesfahrt nach Frankfurt

Loriot und Feininger – jeder ein Genie auf seine Art

Die beiden großartigen Retrospektiven in Frankfurt konnten 30 Teilnehmerinnen genießen. Aufgeteilt in 2 Gruppen konnten alle bei den zeitversetzten Führungen gut sehen und hören.

Das Caricatura-Museum Frankfurt ehrt Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow (1923 – 2011), besser bekannt als „Loriot“, mit einer umfassenden Ausstellung „Ach Was“. Loriot zum 100.

Passend zu seinem vornehmen Geburtsnamen posiert er aufrecht auf dem grünen Plüschsofa, ein feines Lächeln in den Mundwinkel und den Augen.

Ist der Mann mit den zu kurzen Hosen ärmlichen Schläppchen und der Melone etwa ein Selbstbildnis, etwa ein ironisches „Alter Ego“?   Er scheint schon bessere Zeiten erlebt zu haben, bewahrt aber Haltung.

Das Markenzeichen, die Knollennase, ziert nicht nur die feine Dame, sondern auch Porträts berühmter Persönlichkeiten, das kehrt das Würdevolle, Ehrfurchtgebietende ins Menschliche, fast Lächerliche.

Es ist ja bekannt, dass Loriot Möpse liebte, und wie der ausgezeichnete Kunstvermittler betonte, meint er es wohl durchaus doppelsinnig:

„Ein Leben ohne Möpse ist möglich aber sinnlos.“

Loriots Lebenslauf und ausführliche Informationen zu den vielen Facetten seines Schaffens finden sich natürlich im Internet, z.B. unter htps://de.wikipedia.org/wiki/Loriot.

Dies sei aber noch erwähnt:
Gemäß der Tradition der Familie von Bülow ist er 1941 in die Wehrmacht eingetreten und wurde Offizier. Auf die Frage, ob er im Zweiten Weltkrieg ein guter Soldat gewesen sei, antwortete er in einem Interview: „Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende“

Nach einer erholsamen Mittagspause ging es in die Schirn Kunsthalle Frankfurt zu der umfassenden Retrospektive des deutsch-US-amerikanischen Maler und Grafiker Lyonel Feininger (1871 – 1956).

Geboren am 17. Juli 1871 in New York ging er mit 16 Jahren mit seinen Eltern, einem bekannten Musikerehepaar, erstmals nach Deutschland.

Dort durfte er die Kunstgewerbeschule in Hamburg besuchen, kurze Zeit später studierte er an der Berliner Königlichen Akademie der Künste. Nach einem siebenmonatigen Aufenthalt in Paris kehrte er 1893 nach Berlin zurück, wo er als freier Illustrator und Karikaturist für die Zeitschriften Harpers Young People, Humoristische Blätter, Ulk und die Lustigen Blätter tätig wurde.

1906 traf er auf einer Parisreise Robert Delaunay und Henri Matisse. 1912 lernte er die Künstlergruppe „Brücke“ kennen. Auf Einladung von Franz Marc  nahm er 1913 am Ersten Herbstsalon „Der Sturm“ Künstlern des Blauen Reiters teil. Seine erste Einzelausstellung mit 45 Gemälden und 66 weiteren Werken fand 1917 statt. Im selben Jahr lernte er Walter Gropius kennen, 1919 berief ihn dieser an das Staatliche Bauhaus in Weimar als Leiter der grafischen Werkstatt. Dann wurden die politischen Verhältnisse schwierig, das Bauhaus zog 1924 nach Dessau und 1932 als privat geführte Schule nach Berlin. 

1937 konnte er mit seiner Familie das nationalsozialistische Deutschland verlassen, er arbeitete als freier Maler in New York.

Eine außergewöhnliche Kirche, die Dorfkirche in Gelmeroda, hat ihn besonders beeindruckt und ist Motiv vieler Gemälde. Sie steht im Ortsteil der Stadt Weimar in Thüringen und ist auch als Autobahn- oder in Feininger-Kirche bekannt.

Gerade seine Architekturbilder wirken durch-schimmernd, wie gläsern, kristallisierend. Besonders deutlich ist das bei dem 1927 entstandenen „Glasscherbenbild“ (Acryl)Für die weiteren Einzelheiten zu Werk und Leben bietet das Internet eine unüberschaubare Fülle von Veröffentlichungen.

Bei der problemlosen Heimfahrt mit dem Bus konnte man die vielfältigen Eindrücke verarbeiten – still und in sich gekehrt oder im anregenden Gespräch mit den Mitfahrenden.

Alle Fotos: privat (Fronk, Sekula)


*************************

18.01.2024 – Beginn 15:30 Uhr
Thomas Otto
Wer entscheidet für mich, wenn ich es  nicht mehr kann?  

Der Vortrag musste leider entfallen und wird nachgeholt. Wegen des Wintereinbruchs war sogar das Museum geschlossen!

*************************

11.01.2024 – Beginn 15:30 Uhr
Dr. Reinhard Kaufmann
Atacama und Altiplano –
eine Reise durch den Großen Norden Chiles

Stellen wir uns einen Quiznachmittag vor … an einem Donnerstag … vielleicht Anfang Januar…im Alten Schloss J?  Die Fragen:  Wo liegt der Große Norden? Wo kommt das meiste Fischmehl her? Was war der „Salpeterkrieg“? Wo liegt die Atacama-Wüste? Gibt es einen „Big Ben“ außer in London? Wie tief ist das größte existierende Loch in der Erde zur Kupfergewinnung? Was ist der „Riese von Atacama“? Eignen sich Kakteen zum Bau von Dächern? Was ist Büßerschnee? Wo liegen 30% des Lithiumvorkommens der Welt?

Bekannt ist den meisten (älteren) Gießenern der Antwortgeber. Reinhard Kaufmann, von Haus aus Biologe mit mehrjähriger Tätigkeit als Meeresbiologe in Kolumbien, in Thüringen geboren, später engagiert als Kulturdezernent und Förderer unzähliger Einrichtungen und Projekte in der Gießener Kulturszene wie das Stadttheater, nahm uns mit auf seine Reise in den Norden Chiles vor mehr als 10 Jahren, in die Atacama Wüste, der vielleicht trockensten Wüste der Welt, in der in ganzen Landstrichen noch niemals seit Beginn der Wetteraufzeichnungen Regen fiel. Infolgedessen sahen wir auf dieser Exkursion rechts und links der endlos scheinenden Straßen, illustriert durch seine eigenen Dias, viel Sand, viel nackten Fels, Salzseen, Geysire, schneebedeckte Gipfel, bizarre Landschaften und Denkmäler einer heute rückläufigen Industrie zur Salpetergewinnung (das weiße Gold), das nach und nach abgelöst wurde vom roten Gold, dem Kupfer. Und fast immer und fast alles unter einem strahlend blauen Himmel.

Von Antofagasta mit seinem wegen dem Glockenschlag bekannten „Big Ben“ und dem berühmten Felsentor ging es weiter nach El Tique, heute weltweit der größte Exporthafen für Fischmehl, am Ende des „Salpeterkrieges“ im Jahr 1904 erfolgreich Peru und Bolivien abgeluchst – so verlor Bolivien seinen einzigen Zugang zum Meer. Von dort windet sich die Panamericana im Steilanstieg auf das Atacama Plateau mit gespenstischen Industrie- und Siedlungswracks aus der Zeit derAbbaus des Chilesalpeters. In Chuquicamata dann „das größte vom Menschen gebuddelte Loch der Erde“ (Kaufmann), 1.000 Meter tief, zwecks Kupfergewinnung. Monströs. Und nach den Ruinen, dem Loch und zahllosen Kreuzen und Kleinmonumenten zum Gedenken an die Opfer von Autounfällen, die rechts und links des Asphalts wie kleine Mahnmale zu mehr Vernunft gemahnen, bei Humberstone die prähistorischen Geoglyphen der Atacamenios, der indigenen Bevölkerung der Region, um die 400 an der Zahl, in ihrer Mitte der „Riese von Atacama“.

Ließ sich das noch toppen? Zumindest ergänzen…  Arica mit Zollgebäude und Hauptkirche Sankt Marcus aus Gerüsten vorgefertigter Eisenteile, schon Jahre vor Gustave Eifel konstruiert. Schneegipfel, auf 3.500 m Putre, der Nationalpark Lauca, noch einmal einen Kilometer höher, mit den Zwillingsvulkanen, und in der Landschaft wie hingetupft Lamas, Vikunjas (Kleinkamele), landestypische mit Kalkschwemme geweißte Kirchen, allen voran die Iglesia de Isluga, „mestizo, barokko andino“, die „schönste Kirche der Welt“. Faszinierend die Dächer aus regionalen Kakteen, zu Brettern zusammengefügt in kunstvollen Mustern. Und überall in der Landschaft diese Kakteen, Quinoa Wälder mit ihrem sehr harten Holz, und Yaretabüsche, die bis zu 3.000 Jahre alt werden. Im Nationalpark Volcán Isluga dann das größte existierende Geothermalfeld mit ca 80 aktiven Geysiren (Kaufmann nannte sie Wasserfontänen, da die meisten pausenlos sprudeln).

Auf 3.159 m endlich San Pedro de Atacama, ein touristisches Zentrum mit der Kirche Chiu Chiu  und der Salar de Atacama, einer der größten Salzkammern der Welt. Hier gibt es Borax en masse, und 30% des Weltvorkommens an Lithium. Andensäbelschnäbler und Flamingos tummelten sich im flachen Wasser, und im Mondtal Valle de la Luna in einer fast unwirklichen  Landschaft, auf nunmehr 4.700 Höhenmetern, zauberte Büßerschnee, auch Zackenfirn genannt, Flecken aus  vielen kleinen weißen scharfkantigen Schneeresten auf die graubraune Fläche.

Die Luft war dünn, über 4.000 km waren gefahren, Zuschauer und Referent im Saal hatten sich nach über einer Stunde satt und zufrieden gesehen und waren leicht ermattet, und Frau und Kultur bedankte sich mit einer Flasche Rotem bei Herrn Kaufmann für die inspirierende Reise in den Großen Norden Chiles, die den Auftakt der Veranstaltungsreihe des Vereins im ersten Halbjahr 2024 bildete.

(bt)