Chronik 2024

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18. April 2024
Dr. Andreas Ay
Joseph Maria Olbrich – die Jugendstilräume für Großherzog Ernst Ludwig von Hessen

Wo und wie residierten Großherzog Ernst Ludwig von Hessen (1868-1937), Enkel von Königin Victoria und Vetter des späteren Kaiser Wilhelm II, und seine zweite Ehefrau, Eleonore zu Solms- Hohensolms-Lich (1871–1937) , wenn sie in die oberhessische Provinzhauptstadt Gießen kamen? In einem eigens gestalteten Apartment im „Alten Schloss“, vergleichsweise beengt, um es vorwegzunehmen, aber in erlesenem Ambiente, 1891 anlässlich des Umbaus des Gebäudes erschaffen von dem Jugendstilmeister Joseph Maria Olbrich (1867-1908). Dort hielt sich das Paar bis Ende des 1. Weltkrieges immer wieder auf, verlor dann aber das Wohnrecht. Bei einem Angriff englischer Lancaster Bomber am 12. Dezember 1944 wurden Wohnung und Möbel fast völlig zerstört. Nur ein Frisiertisch aus Ahorn, mit Intarsien verziert, blieb erhalten.

Dr. Andreas Ay, ursprünglich Biebertaler Bub und Außenhandelskaufmann, ist Giessenern und der kunsthistorischen Szene insbesondere als freier Mitarbeiter des Oberhessischen Museums und als Kurator einer Sonderausstellung im Jahr 2019 bekannt. In seinem Vortrag im April 2024 zeigte er Skizzen, Fotos und Dokumente aus jener Ausstellung, mit deren Hilfe er rekonstruiert hatte, wie die Großherzogliche Wohnung damals aussah.

Zunächst jedoch führte Ay in die Thematik Jugendstil und dessen Vertreter im Inland und benachbarten Ausland ein. Er machte seine Zuhörer und Zuhörerinnen mit dem Österreicher Olbrich und dessen Werdegang bekannt – ein spektakulärer Künstler, prägende Figur des Jugendstils und Schöpfer des Hauses der Secession in Wien 1898. Ernst Ludwig wurde durch die Skizze eines Handleuchters auf ihn aufmerksam, lud ihn nach Darmstadt ein und berief ihn zum Leiter der dortigen Mathildenhöhe. Bekannt wurde er damals vor allem durch seinen Hochzeitsturm. Mit seiner Mutter Alice, zweite Tochter von Queen Victoria, hatte sich Ernst Ludwig schon als Kind häufig am englischen Hof aufgehalten und die Arts und Crafts Movement kennengelernt, die großen Einfluss auf die Jugendstilbewegung hatte.

Großherzog und Künstler fühlten sich sehr verbunden, und so beauftragte der Großherzog Olbrich mit der Gestaltung der herzoglichen Wohnung im linken Trakt des ersten Stockwerks des Gießener Schlosses, in dem heute das Museum ist. Spektakulär aus damaliger Sicht waren die dominierenden gestalterischen Elemente Quadrat, Rechteck und Raute. Die Üppigkeit bisheriger Stilrichtungen wich einer Schlichtheit mit reduzierten Formen. Licht spielte als gestalterisches Element eine große Rolle. Der verschachtelte Grundriss des Gebäudes erschwerte die Innengestaltung – jeder Winkel wurde genutzt, und zwar nicht irgendwie, sondern mit jeweils beabsichtigter Wirkung.

Am 02.08.1907 wurde die Wohnung (das gedeckelte Budget belief sich auf ca 50.000 Mark) an das Herzogspaar übergeben – ein Gesamtkunstwerk Olbrichs mit „ästhetischen Enklaven“. Nichts sollte verändert werden. Überliefert ist, dass Ernst Ludwig und Eleonore jedoch ungeachtet dessen Möbel rückten…

Eine persönliche Anmerkung: Für diejenigen, die 2019 in der Ausstellung waren, bedeutete der Vortrag von Herrn Ay sicherlich eine schöne Erinnerung. Für die „Neuen“ vielleicht eine Inspiration, sich näher mit den Themen zu beschäftigen – mit der Geschichte des Gießener Schlosses, mit  damaligen örtlichen Mäzenen wie Gail und Schirmer, mit Architekten wie Hofmann, mit dem Jugendstil und seinen Vertretern wie Olbrich, Horta, Pankok, Wagner, dem Möbelfabrikaten Glückert, der im Parterre ein Speise- und Audienzzimmer einrichtete (heute Netanya Saal),  und/oder der herzoglichen Familie. Ein schöner Einstieg: „Die großherzogliche Wohnung in Giessen“ von Hans-Joachim Weimann oder Dokumentationen über die Ausstellung selbst (online).

https://jlupub.ub.uni-giessen.de/bitstream/handle/jlupub/4401/MOHG_94_2009_S45_62.pdf?sequence=1&isAllowed=y

bt

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11.04.2024
Halbtagsfahrt nach Friedberg
Nur für angemeldete Mitglieder

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04.04.2024
Annina Schubert                                                                                
Ottilie von Goethe. Mut zum Chaos!    
 

Durch ihre Ehe (1817) mit August von Goethe, einem unehelichen Sohn des berühmten Dichters, wurde die geborene Freiin Ottilie Wilhelmine Ernestine Henriette von Pogwisch Mitglied des Haushaltes von Johann Wolfgang von Goethe am Weimarer Frauenplan, und dessen Schwiegertochter. Der Vater Baron von Pogwisch, die Mutter eine geborene Henckel von Donnersmarck – sie kam sie aus uraltem adligen Haus – wenngleich aus einer zerbrochenen und verarmten Familie, in der ihre Mutter nach der Trennung die beiden Töchter als Hofdame durchbringen musste.

Ottilie (1796-1872) und ihre Schwester Ulrike lebten zehn Jahre lang im Hause Goethe. Der Ehe, von August hartnäckig erwünscht, entsprangen zwei Söhne und eine Tochter. Später (1835) folgte in Wien noch eine uneheliche Tochter. Doch die Ehe verlief unglücklich und endete mit Augusts Tod auf einer „Grand Tour“ im Jahr 1830 in Italien. Dauerhaft hingegen war ihre Freundschaft mit Adele Schopenhauer, und dauerhaft blieb auch ihre wachsende Tochter-Vater Beziehung mit Johann Wolfgang, mit dem sie, beispielsweise bei der Ausarbeitung des Faust Teil II, zusammenarbeitete und für den sie übersetzte. Doch sie wirkte auch selbstständig. 1829 beispielsweise gründete sie die Zeitschrift Chaos.

Die Ära Weimar endete mit dem Tod ihres Schwiegervaters 1932. Ottilie lebte – ihrer inneren Unruhe entsprechend – in Wien, Italien, und immer wieder in Weimar, wohin sie 1870 dauerhaft zurückkehrte und 1872 starb. Beerdigt wurde sie im Familiengrab der Goethes.

Wer war diese Frau, die sich selbst als „liebenswürdig, unerträglich, geistreich…“, auf jeden Fall als äußerst lebendige Frau beschrieb? Annina Schubert, Germanistin und Kunstgeschichtlerin, heute vor allem freiberufliche Führerin und dem Romantikmuseum in Frankfurt sehr verbunden, vermittelte in ihrem Vortrag mit großer Begeisterung ein Portrait dieses Wirbelwindes. Ottilie malte, auch sich selbst („Allerlei“) und Maskenblätter. Sie dichtete. Sie war ausgesprochener Byron Fan, liebte die Poesie. Sie war sprachbegabt, ihre „language of the heart“ war Englisch. Mit ihren Chaosheften 1829- 1831 ermunterte sie viele Menschen zum Schreiben. Unter Pseudonymen schrieben hier auch Persönlichkeiten wie Goethe selbst oder Mendelssohn-Bartholdy  – die Auswahl der Werke behielt  Ottilie sich jedoch als Redakteurin selbst vor. Die Lektüre war allerdings ausschließlich dem Autorenkreis vorbehalten. Auch junge englischsprachige Männer wurden von ihr nach Weimar eingeladen um mitzuwirken – Voraussetzung: mindestens eine Übernachtung im Ort. Dass dies ihrem Ruf als ohnehin sehr unkonventionelle Frau, die nichts von Haushaltspflichten hielt und schon während ihrer Ehe diverser Liebschaften verdächtigt wurde, nicht zuträglich war, verwundert nicht.

In ihren späteren Jahren vertiefte sich Ottilie immer mehr in ihren Interessensbereich Kunst. Sie etablierte eine eigene Sammlung und machte sich damit einen Namen. Nachlass findet sich im deutschsprachigen Raum im Goethehaus Frankfurt, in der Jenaer Bibliothek und im Goethe-Museum Düsseldorf. Weitere Spurensuche nach Ottilie – sie dürfte sich „lohnen“…
bt

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21.03.2024
Gabriele Clement
Frauen erobern den Himmel – Pionierinnen der Luftfahrt 

Haben Sie Flugangst? Gabriele Clement empfiehlt einen Ausflug mit einem Zweisitzer – je kleiner desto besser. Da bliebe keine Zeit mehr für Angst…

Reisende, auch fliegende, und schreibende Frauen sind Gegenstand von Gabriele Clements Nachforschungen. Die frühere Leiterin der Volkshochschule Marburg Biedenkopf, nach wie vor gefragte Referentin zu diesen Themen, nahm das Publikum mit in die Welt der Fliegerinnen, namentlich Marga von Etzdorf, Elly Beinhorn und vielen anderen.

Tolle kühne Frauen wie Wilhelmine Reichard, die 1811 die erste Ballonfahrt als Frau wagte, Käthe Paulus, die 1893 aus 1.200m Höhe mit einem Fallschirm den Sprung in die Tiefe riskierte, Melli Beese, die 1911 als erste Deutsche den Pilotenschein machte und ein Jahr später eine eigene Flugschule gründete… drei der vielen bahnbrechenden Frauen, die etwas taten, was die Männerwelt ihrem/unserem Geschlecht wegen vermeintlicher Unfähigkeit nicht zutrauten – und dann, als der Gegenbeweis angetreten war, nicht zugestehen wollten und vielfältig boykottierten, verhinderten, verunglimpften. Rekorde wurden verschwiegen, Fliegerinnen gemobbt, ihrer fliegerischen Exzellenz die Anerkennung verweigert. Erfolgreiche tollkühne Frauen in fliegenden Kisten durfte es nicht geben, diese Domäne war den Männern vorbehalten. Und so ist es im Grunde genommen noch heute.

Gabriele Clement kontrastierte zwei Frauen exemplarisch: Marga von Etzdorf, die „Pechmarie“ und Elly Beinhorn, die „Goldmarie“. Marga von Etzdorf (1907-1933) flog ihre eigene knallgelbe Junkers A50 ce junior namens „Kiek in die Welt“. Sie legte, in jenen Zeiten oft unvermeidlich, viele Bruchlandungen hin. Die ausgebildete Pilotin flog Strecke und wurde 1928 die erste Kopilotin bei der Deutschen Lufthansa. Sie war eine versierte Kunstfliegerin, wie die meisten ihrer Zunft, und darüber hinaus Segelflugexpertin, riskierte Alleinflüge wie den legendären Langstreckenflug nach Tokio in 11 Flugtagen, und strandete 1933 im damals französisch besetzten Aleppo, wo sie sich selbst erschoss. Es wird angenommen, dass sie in Waffengeschäfte verwickelt war. Das tragische Ende eines kurzen Lebens, als Heldin von den Nazis hochstilisiert, aber letztlich vor allem eine hochbegabte unglaublich mutige talentierte Fliegerin und Frau.

Elly Beinhorn hingegen (1907-2007), ihre Freundin, lebte ein ganzes Jahrhundert lang.  Elly flog eine Messerschmitt M 23b, später eine Bf 108, „Taifun“ genannt. Auch sie war ausgebildete Pilotin und Kunstfliegerin und machte viel von sich reden, beispielsweise mit ihrem Alleinflug nach Guinea-Bissau 1931. Sie interessierte sich für Ethnologie und arbeitete mit Völkerkundlern zusammen. 1932 überflog sie in acht Monaten alle fünf Kontinente. Weitere spektakuläre Alleingänge folgten, über die sie  schrieb. Anders als Marga war sie eine medienwirksame Ikone, ein Publikumsliebling. Ihre kurze Ehe mit dem renommierten Rennfahrer Bernd Rosemeyer, mit dem sie Sohn Bernd hatte, dauerte nur zwei Jahre und wurde durch seinen tödlichen Unfall jäh beendet. Später hatte sie mit Ehemann Karl Wittmann noch eine Tochter, Stefanie. Sie hinterließ über ein Dutzend Bücher.

Doch da waren noch viele andere „Damen der Lüfte“, begabte, couragierte und erfolgreiche Fliegerinnen wie Thea Rasche (das „Flying Fräulein“), Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg (eine äußerst technikbegabte Fliegerin und Ingenieurin, im 2. Weltkrieg unverzichtbar für die Deutsche Wehrmacht), Liesel Bach (die „Kunstflugkönigin“), Vera von Bissing (die „Loopingkünstlerin“), Hanna Reitsch (die „Opportunistin“) und Beate Uhse (die „Stuntpilotin“), die später das bekannte Imperium mit Hygiene- und Sexartikeln aufbaute.

All diese und weitere Damen waren jedoch nicht nur toll und kühn, sondern auch bahnbrechend modisch. Geflogen wurde zunächst im offenen Cockpit, in Eiseskälte, Wind, Regen, gleißender Sonne und anderem Unbill. Die Frauen mussten sich schützen, Hosen waren zunächst tabu, die Ladies jedoch erfinderisch. Und modisch höchst attraktiv und selbstbewusst. Die Fotos von ihnen zeugen davon.

Ein spannender Themenkomplex. Gabriele Clement gelang es, ihre Zuhörerinnen einzufangen und mitzunehmen in diese Welt der Extreme, des unglaublichen (Wage)Mutes, der Besessenheit von dem Glücksgefühl, „über den Wolken“ zu sein. Der Funke sprang über – denn, Hand auf’s Herz, wären wir nicht alle gerne ein wenig toller und kühner als wir es uns erlauben?

bt

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14.03.2024
Suzanne Bohn
Colette – zum 70. Todestag

Als „Grande Dame der französischen Literatur“ wird Sidonie Gabrielle Colette im Deutschlandfunk ein Jahrhundert später bezeichnet, als „Pariser Skandal-Schriftstellerin, geliebt, gehasst, bewundert“ (Spiegel). Unstrittig: Colette (1873-1954) war die Erste ihres Genres, die sich alleine von ihrer Arbeit ernähren konnte – und zwar durchaus gut. Sie brach Tabus in der französischen Gesellschaft nach dem 2. Kaiserreich, nichts weiter im Hintergrund als eine kleinbürgerliche zerrüttete Familie, im Dorf geächtet und skandalträchtig, und einem Hauptschulabschluss. Zeit ihres Lebens warf ihre neurotische kontrollsüchtige Mutter Schatten auf Colettes Leben – von ihr gehasst, verleugnet und, spät noch, verherrlicht.

Henry Gauthiers-Villars, genannt „Willy“, ein Salonlöwe und Schwerenöter und ihr erster Ehemann, zwang sie, ihre berühmten „Claudine“ – Romane unter seinem Namen zu veröffentlichen. Langsam emanzipierte sie sich jedoch aus dieser toxischen Beziehung zu einer Rebellin mit dem Credo „ich mache was ich will“.  Sie schrieb, hatte Sex und Beziehungen mit Menschen vieler Couleur und Altersgruppen inklusive ihres späteren Stiefsohns, gab sich androgyn und mißachtete so ziemlich alle gesellschaftlichen Konventionen der damaligen Gesellschaft. Als Feministin sah sie sich jedoch keineswegs, die „gehören ausgepeitscht“. Sie war, so die Referentin, ein Biest.

Doch dann gerieten ihre schriftstellerischen Aktivitäten in den Hintergrund und sie arbeitete als Schauspielerin und Tänzerin mit viel Tingeltangel und Auftritten in Etablissements wie das Moulin Rouge. Sie erwarb sich einen Ruf, mit dem sie sich in bestimmten Kreisen nie wieder rehabilitieren konnte. Auch in dieser Phase ihres Lebens, in der sie sehr viel Sport trieb, war sie authentisch, grenzenlos und unersättlich. Zwei Novellen entstanden.

Dann ein weiterer biografischer Bruch. Durch ihre Heirat mit Baron Henri de Jouvenel des Ursins, Politiker, Journalist und Diplomat, wurde sie ein anerkanntes Mitglied der französischen Gesellschaft. Die Baronin schlüpfte in eine andere Rolle – die der begabten Journalistin mit scharfem Blick, die aus vielen Perspektiven schrieb – und nie über Politik. Im Jahr 1913 gebar sie eine Tochter – die später in ein Internat abgeschoben wurde und ihr Leben lang „NICHTS machte, einfach nichts“, obwohl vielfältig begabt. So Suzanne Bohn, die Referentin des Nachmittags,  mit viel Temperament und Liebe zum Detail (und, wie bei allen ihren Vorträgen, mit deutlicher Kritik an den noch heute wirksamen Strategien der Männer, Frauen im öffentlichen Diskurs „verschwinden“ zu lassen und auszugrenzen). Mit fast atemberaubender Geschwindigkeit zeichnete sie ein Bild von Colette, das diese in all ihren Widersprüchlichkeiten als außergewöhnliche Frau und Schriftstellerin erstrahlen ließ.

Colette, die „schönste französische Schriftstellerin“, war sehr reiselustig und berichtete über ihre Exkursionen. Starke Frauen waren ihr Thema, Einsamkeit… Alle ihrer Novellen hatten autobiografische Anteile. Doch es ging ihr wieder nicht gut. Sie machte keinen Sport mehr, „aß sich krank“, nahm immer mehr zu und verliebte sich in Maurice Goudeket, Jude, Geschäftsmann und Schriftsteller, mit dem sie dann noch fast 30 Jahre lang zusammen war. Mit ihm lebte sie auf großem Fuß, bis er 1929 sein gesamtes Vermögen verlor. Doch Colette gab nicht auf. Nicht nur hielt sie zu ihm bis zu ihrem Tod. Sie arbeitete hart und erfolgreich. Für „La Republique“ schrieb sie täglich einen Artikel. Auch als sie, schon geplagt von heftiger Arthrose und den Folgen ihres Übergewichts, bettlägerig war, blieb sie aktiv. Fünf Jahre vor ihrem Tod wurde sie noch Präsidentin der Académie Goncourt, als erste Frau! Und 1953 wurde sie ausgezeichnet, als Grand Officier der Ehrenlegion. Gesellschaft und Staat wussten sie zu schätzen. Sie bekam 1954 das erste Staatsbegräbnis einer Frau in Frankreich. Nur die katholische Kirche verweigerte ihr den Segen.

Suzanne Bohn, diese engagierte und faszinierende Germanistin, ließ Colette, deren „dunkle Seiten“ in diesem Chronikbeitrag nur angedeutet werden, für ihr Publikum aufleben. Was für eine Frau! Es lohnt sich, sich weiter mit ihr im zeitlichen Kontext zu beschäftigen. Finde ich…

bt

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07.03.2024, Beginn 15:30 Uhr
Dr. Ludwig Brake
Henriette und Isabella – Zwei Frauen und ihre „Kochbücher“

„Eine kulturelle Vorspeise zum Internationalen Tag der Frau hat Dr. Ludwig Brake in seinem Vortrag „Henriette und Isabella – Zwei Frauen und ihre „Kochbücher“ . Flankiert wurde der kurzweilige Vortrag durch die Vorstellung eines Menüs aus dem 19. Jahrhundert, vorgetragen von Marina Gust-Brake ……“

Quelle: Gießener Allgemeine, 12.03.2023

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28.02.2024
Dr. Stephanie Jung
Walfang – früher und heute

Leider war der Große Hörsaal noch gesperrt


Von Pottwalen und Tranfunzeln berichtete am 28.03.2024 Dr. Stefanie Jung in der Hermann-Hoffmann-Akademie vor etwa 30 interessierten Mitgliedern und Gästen von Frau und Kultur Gießen. In ihrem Vortrag „Walfang – früher und heute“ spricht sie über die historischen und ökonomischen Aspekte des Walfangs.

Walfang gibt es bereits seit 7000 Jahre, so lassen es steinzeitliche Zeichnungen vermuten. Erstmals „kommerziell“ gejagt haben die Basken im Golf von Biscaya (ca. 12. Jh.) Sie waren spezialisiert auf Grindwale. Die Bejagung war so intensiv, dass keine Bestände mehr vorhanden waren. Da entdeckte ca. 1596 Willem Barents und einige Jahre später W. Poole auf ihren Entdeckungsreisen bei Spitzbergen ein reiches Vorkommen von Grönlandwalen. Bald begannen Engländer und Niederländer und ab 1644 deutsche Schiffe aus Hamburg und Altona mit der sogenannten  Hochseejagd in den Gewässern vor Spitzbergen. Auch Nordamerikaner begannen sich zu beteiligen und es kam zu blutigen Scharmützeln, wie auf Gemälden dieser Zeit dargestellt.

Die getöteten Wale wurden komplett verarbeitet. An Land gab es große Trankochereien. Das Fett war ein gesuchter Artikel, es diente als Brennstoff und industrieller Rohstoff (Margarine, Nitroglyzerin, etc.) Die Firmen Henkel und Unilever stellten Seife und Waschpulver her. Das Fleisch wurde zu Dünger verarbeitet und Ambra brauchte man in der Parfümindustrie.

Der Pottwal wurde wegen des Walrats im 19. Jh. besonders von amerikanischen Walfängern aus Nantucket gejagt und dezimiert. Walrat eignet sich zur Herstellung zu besonders hell brennenden Kerzen, Kosmetika und Schmiermittel.

Aus den Barten der Bartenwale (Blauwale) wurde Fischbein hergestellt (Korsett) bis im 20. Jh. steife, aber elastische Kunststoffe (z.B. Nylon) und andere Materialien den tierischen Werkstoff ersetzten. Frau Dr. Jung zeigte entsprechende Exponate. Sie erläuterte, dass das Wort „Tranfunzel“ aus dieser Zeit stammt. Mit dem ausgelassenen Fett wurde die „Funsel“ genährt – eine schlecht brennende Öl – bzw, Fettlampe.

Da durch die Überfischung/Ausrottung der Wale der Bestand im Norden zurückging, wandte man sich dem Südpol (Südgeorgien) zu. Hier entstanden in im 20. Jh. ganze Walfangstädte

In den 1980er Jahren wurde durch ein Moratorium die Walfangquote auf 0 gesetzt, Norwegen und Japan jagen aber immer noch (angeblich der Tradition wegen, in Japan zu sog. Forschungszwecken ). In Island wurde bislang keine neue Konzession beantragt.

Die Bestände der Wale sind heute nicht mehr gefährdet, lediglich die Situation des Pottwals wird als „verletzlich“ eingestuft. Der neue Feind der Tiere ist heute der Müll, die Schiffe auf den Weltmeeren, Öl und auch der Klimawandel. Veränderte Temperaturen tragen dazu bei, dass sich die Futterplätze der Tiere verändern und die Wale die neuen Plätze nicht mehr finden.

Pottwale jagen mit Schallwellen und Herman Melvilles Buch „Moby Dick“ basiert auf dem Tagebuch des Walfängers Owen Chase.

In der Akademie ist auch ein Embryo eines Wales zu sehen (ca. 3 Monate), den der Gießener Zoologieprofessor Ankel von einer Expedition mit Hans Hass 1953 mit nach Gießen brachte.

Ein rundum gelungener Nachmittag und Frau Dr. Jung wurde noch vor Ort gebeten für das 2.Hj. 2024 einen weiteren Vortrag zu halten.

Fotos priv. HS, Text AB

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22.02.2022
Friedrich W. Volck
Wasser ist ein ganz besondrer Saft

Wo gibt es heutzutage noch eine für alle öffentlich zugängliche und ganz persönliche Auffrischungsstunde zum Thema H2O – und das auch noch fast kostenlos? Bei Frau und Kultur.

Entspannt auf bequemen Stühlen im Netanya Saal sitzend fühlte sich so manche Zuhörerin ein halbes Jahrhundert und mehr zurückgebeamt in den einstigen Unterricht über Moleküle und chemische Verbindungen – und zwar von Friedrich Volck, pensionierter Gymnasiallehrer aus Alzenau und gern gesehener Gast bei uns. In Anspielung auf Goethes „Faust“ („Blut ist ein ganz besondrer Saft“) zeichnete der Referent ein umfassendes Bild von den physikalischen Eigenschaften dieser Wasser-Sauerstoff Verbindung, ohne deren Existenz vor allem in flüssigem Zustand unser Leben nicht möglich wäre, die aber in festem oder gasförmigem Zustand (ein Dihydrogenmonoxid)  Leben auch angreift (z.B. Verbrennungen) und auslöscht.

Dabei spielen die Wasserstoffbrückenbindungen, aus denen Tetraeder entstehen, die entscheidende Rolle.

Vor allem die bei der Eisbildung entstehenden vielfältigen Kristalle, von Fotografen wie Wilson Bentley verewigt (auch als „Snowflake-Bentley“ bekannt mit seinem 1931 erschienenen Bildband Snow Crystals), entzücken uns im Winter. Und da wäre auch Kenneth Libbrecht zu nennen, der bekannt ist für seine wissenschaftlichen Studien und Fotografien.

Wasser – H2O – besitzt in den verschiedenen Aggregatzuständen fest, flüssig und gasförmig besondere Eigenschaften, die es von anderen Substanzen unterscheidet. Eis hat eine geringere Dichte als Wasser, daher schwimmt es auf der Oberfläche. Die größte Dichte hat Wasser bei +4 Grad. Ist beispielsweise ein See überfroren, steigt die Wassertemperatur nach unten hin und Lebewesen wie Fische müssen nicht sterben. Wasser hat eine hohe Siede- und Schmelztemperatur – Wasser hat also einen sehr großen Temperaturbereich, in dem es flüssig sein kann, und eignet sich daher hervorragend als Lösungsmittel für andere Substanzen. Wasser erwärmt sich nur unter hoher Energiezufuhr und daher langsamer als die Erde. So entsteht ein Kreislauf in der Natur, bei dem der Wind eine große Rolle spielt – wir nennen es Wetter.

Warum und wann schwitzen wir? Warum sehen wir fallende Tropfen nur solange sie hängen? Warum kann sich Wasser über einem Glas wölben? Welche Rolle spielt dabei die Oberflächenspannung? Vielleicht ein guter Anlass, noch einmal in den alten Heften zu kramen oder das www zu bemühen – um das zurückzuholen was wir vielleicht vergessen haben – oder das zu verstehen, das uns früher mangels persönlicher Motivation oder schülergerechter Didaktik entglitt oder entging. Der Anstoß ist gegeben … danke, Friedrich Volck.
(bt)

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01.02.2024 – Beginn 15:30 Uhr 
Dr. Frank Berger
Das Geld der Dichter und Dichterinnen
in der Zeit der Romantik    

Bis vor kurzem war Dr. Frank Berger Kurator am Historischen Museum Frankfurt, zuständig für das Münzkabinett und ausgewiesener Experte zum Thema Zahlungsmittel der Romantik. Deren Bezeichnungen kennen wir noch: Taler, Gulden, Batzen, Kreuzer, Groschen, Louisdor… Was Frank Bergers Vortrag jedoch besonders interessant machte war, dass er die Währungen in Euro umrechnete und sie gleichzeitig in den Kontext der damaligen Lebenshaltungskosten und Jahreseinkünfte der Menschen in der Zeit der Romantik (1795 bis 1835) stellte. So gaben ca 70% der Bevölkerung 62% ihres Einkommens für Nahrung, 16% für Kleidung, 12% für Wohnen und 5% für Heizen und Beleuchtung aus. Man vergleiche Heute geben wir durchschnittlich 14% unseres Einkommens für Nahrung aus.

Das Brutto-Jahreseinkommen, lag damals bei 200 Talern, umgerechnet €40.000 brutto. Ca 50-70% der Bevölkerung – je nach Standort – verfügten über dieses Einkommen – das gleichzeitig die Armutsgrenze markierte. Die Mehrheit der Menschen lebte also in prekären Verhältnisse.

Und wie stand es um die kulturelle Schaffenskraft einer Gesellschaft und ihrer Individuen, die an oder unter der Armutsgrenze lebten? Nicht gut. Folglich kamen die Dichterinnen und Dichter der Romantik – ich greife hier vor – aus gut betuchten Familien. Der Referent stellte vor: Sophie von La Roche (1730-1807), Clemens Brentano (1778-1842), Bettina von Armin (1785-1859), Sophie Mereau (1770-1806), Karoline von Günderrode (1780-1806) und Ludwig Emil Grimm (1790-1863).

Sophie von La Roche, zu ihrer Zeit Bestsellerautorin, verfügte über ein Vermögen von 16.000 Gulden, war also reich. Ihr Honorar wurde nach Druckbögen bezahlt – ein schönes aber erfolgsunabhängiges Zubrot. Clemens Brentano war der Sohn des reichsten Mannes der Stadt Frankfurt, Peter Anton Brentano, der der Familie ein Vermögen von umgerechnet 130 Millionen Euro hinterließ. Seine Brüder verwalteten das Geld umsichtig, aber immerhin standen ihm jährlich ca 80.000-230.000 heutige Euros zur Verfügung.  Bettina von Arnim, seine Schwester (beider Großmutter: Sophie von La Roche), erbte 50.000 Gulden. Und so geht es weiter: Sophie Mereau heiratete in zweiter Ehe Clemens Brentano und kam selbst aus einem wohlhabenden Elternhaus.

Die Günderrodes allerdings waren zwar ein führendes Frankfurter Partiziergeschlecht, durch den frühen Tod ihres Vaters lebte Karoline von Günderrode jedoch in bescheidenen finanziellen Verhältnissen und begab sich, 17jährig, in ein adliges evangelisches Stift, wo sie jung verstarb. Auch Ludwig Grimm, einer der Grimm-Brüder und Maler, lebte in eher bescheidenen Verhältnissen. Reich wurde man damals kaum durch das eigene künstlerische Schaffen – die Herkunft bestimmte die überwiegend komfortablen finanziellen Verhältnisse. Zwei der wenigen Ausnahmen waren Jean Paul (1763-1825), der, so Frank Berger auf Anfrage aus dem Pubikum, tatsächlich durch sein Schreiben zu Wohlstand kam, und der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814). Im späteren Leben am meisten aus der Reihe tanzte Bettina von Armin, die zunehmend sozialkritisch aktiv wurde und verdächtigt wurde, für den schlesischen Weberaufstand mit verantwortlich gewesen zu sein.

bt

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25.01.2024 – Tagesfahrt nach Frankfurt

Loriot und Feininger – jeder ein Genie auf seine Art

Die beiden großartigen Retrospektiven in Frankfurt konnten 30 Teilnehmerinnen genießen. Aufgeteilt in 2 Gruppen konnten alle bei den zeitversetzten Führungen gut sehen und hören.

Das Caricatura-Museum Frankfurt ehrt Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow (1923 – 2011), besser bekannt als „Loriot“, mit einer umfassenden Ausstellung „Ach Was“. Loriot zum 100.

Passend zu seinem vornehmen Geburtsnamen posiert er aufrecht auf dem grünen Plüschsofa, ein feines Lächeln in den Mundwinkel und den Augen.

Ist der Mann mit den zu kurzen Hosen ärmlichen Schläppchen und der Melone etwa ein Selbstbildnis, etwa ein ironisches „Alter Ego“?   Er scheint schon bessere Zeiten erlebt zu haben, bewahrt aber Haltung.

Das Markenzeichen, die Knollennase, ziert nicht nur die feine Dame, sondern auch Porträts berühmter Persönlichkeiten, das kehrt das Würdevolle, Ehrfurchtgebietende ins Menschliche, fast Lächerliche.

Es ist ja bekannt, dass Loriot Möpse liebte, und wie der ausgezeichnete Kunstvermittler betonte, meint er es wohl durchaus doppelsinnig:

„Ein Leben ohne Möpse ist möglich aber sinnlos.“

Loriots Lebenslauf und ausführliche Informationen zu den vielen Facetten seines Schaffens finden sich natürlich im Internet, z.B. unter htps://de.wikipedia.org/wiki/Loriot.

Dies sei aber noch erwähnt:
Gemäß der Tradition der Familie von Bülow ist er 1941 in die Wehrmacht eingetreten und wurde Offizier. Auf die Frage, ob er im Zweiten Weltkrieg ein guter Soldat gewesen sei, antwortete er in einem Interview: „Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende“

Nach einer erholsamen Mittagspause ging es in die Schirn Kunsthalle Frankfurt zu der umfassenden Retrospektive des deutsch-US-amerikanischen Maler und Grafiker Lyonel Feininger (1871 – 1956).

Geboren am 17. Juli 1871 in New York ging er mit 16 Jahren mit seinen Eltern, einem bekannten Musikerehepaar, erstmals nach Deutschland.

Dort durfte er die Kunstgewerbeschule in Hamburg besuchen, kurze Zeit später studierte er an der Berliner Königlichen Akademie der Künste. Nach einem siebenmonatigen Aufenthalt in Paris kehrte er 1893 nach Berlin zurück, wo er als freier Illustrator und Karikaturist für die Zeitschriften Harpers Young People, Humoristische Blätter, Ulk und die Lustigen Blätter tätig wurde.

1906 traf er auf einer Parisreise Robert Delaunay und Henri Matisse. 1912 lernte er die Künstlergruppe „Brücke“ kennen. Auf Einladung von Franz Marc  nahm er 1913 am Ersten Herbstsalon „Der Sturm“ Künstlern des Blauen Reiters teil. Seine erste Einzelausstellung mit 45 Gemälden und 66 weiteren Werken fand 1917 statt. Im selben Jahr lernte er Walter Gropius kennen, 1919 berief ihn dieser an das Staatliche Bauhaus in Weimar als Leiter der grafischen Werkstatt. Dann wurden die politischen Verhältnisse schwierig, das Bauhaus zog 1924 nach Dessau und 1932 als privat geführte Schule nach Berlin. 

1937 konnte er mit seiner Familie das nationalsozialistische Deutschland verlassen, er arbeitete als freier Maler in New York.

Eine außergewöhnliche Kirche, die Dorfkirche in Gelmeroda, hat ihn besonders beeindruckt und ist Motiv vieler Gemälde. Sie steht im Ortsteil der Stadt Weimar in Thüringen und ist auch als Autobahn- oder in Feininger-Kirche bekannt.

Gerade seine Architekturbilder wirken durch-schimmernd, wie gläsern, kristallisierend. Besonders deutlich ist das bei dem 1927 entstandenen „Glasscherbenbild“ (Acryl)Für die weiteren Einzelheiten zu Werk und Leben bietet das Internet eine unüberschaubare Fülle von Veröffentlichungen.

Bei der problemlosen Heimfahrt mit dem Bus konnte man die vielfältigen Eindrücke verarbeiten – still und in sich gekehrt oder im anregenden Gespräch mit den Mitfahrenden.

Alle Fotos: privat (Fronk, Sekula)


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18.01.2024 – Beginn 15:30 Uhr
Thomas Otto
Wer entscheidet für mich, wenn ich es  nicht mehr kann?  

Der Vortrag musste leider entfallen und wird nachgeholt. Wegen des Wintereinbruchs war sogar das Museum geschlossen!

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11.01.2024 – Beginn 15:30 Uhr
Dr. Reinhard Kaufmann
Atacama und Altiplano –
eine Reise durch den Großen Norden Chiles

Stellen wir uns einen Quiznachmittag vor … an einem Donnerstag … vielleicht Anfang Januar…im Alten Schloss J?  Die Fragen:  Wo liegt der Große Norden? Wo kommt das meiste Fischmehl her? Was war der „Salpeterkrieg“? Wo liegt die Atacama-Wüste? Gibt es einen „Big Ben“ außer in London? Wie tief ist das größte existierende Loch in der Erde zur Kupfergewinnung? Was ist der „Riese von Atacama“? Eignen sich Kakteen zum Bau von Dächern? Was ist Büßerschnee? Wo liegen 30% des Lithiumvorkommens der Welt?

Bekannt ist den meisten (älteren) Gießenern der Antwortgeber. Reinhard Kaufmann, von Haus aus Biologe mit mehrjähriger Tätigkeit als Meeresbiologe in Kolumbien, in Thüringen geboren, später engagiert als Kulturdezernent und Förderer unzähliger Einrichtungen und Projekte in der Gießener Kulturszene wie das Stadttheater, nahm uns mit auf seine Reise in den Norden Chiles vor mehr als 10 Jahren, in die Atacama Wüste, der vielleicht trockensten Wüste der Welt, in der in ganzen Landstrichen noch niemals seit Beginn der Wetteraufzeichnungen Regen fiel. Infolgedessen sahen wir auf dieser Exkursion rechts und links der endlos scheinenden Straßen, illustriert durch seine eigenen Dias, viel Sand, viel nackten Fels, Salzseen, Geysire, schneebedeckte Gipfel, bizarre Landschaften und Denkmäler einer heute rückläufigen Industrie zur Salpetergewinnung (das weiße Gold), das nach und nach abgelöst wurde vom roten Gold, dem Kupfer. Und fast immer und fast alles unter einem strahlend blauen Himmel.

Von Antofagasta mit seinem wegen dem Glockenschlag bekannten „Big Ben“ und dem berühmten Felsentor ging es weiter nach El Tique, heute weltweit der größte Exporthafen für Fischmehl, am Ende des „Salpeterkrieges“ im Jahr 1904 erfolgreich Peru und Bolivien abgeluchst – so verlor Bolivien seinen einzigen Zugang zum Meer. Von dort windet sich die Panamericana im Steilanstieg auf das Atacama Plateau mit gespenstischen Industrie- und Siedlungswracks aus der Zeit derAbbaus des Chilesalpeters. In Chuquicamata dann „das größte vom Menschen gebuddelte Loch der Erde“ (Kaufmann), 1.000 Meter tief, zwecks Kupfergewinnung. Monströs. Und nach den Ruinen, dem Loch und zahllosen Kreuzen und Kleinmonumenten zum Gedenken an die Opfer von Autounfällen, die rechts und links des Asphalts wie kleine Mahnmale zu mehr Vernunft gemahnen, bei Humberstone die prähistorischen Geoglyphen der Atacamenios, der indigenen Bevölkerung der Region, um die 400 an der Zahl, in ihrer Mitte der „Riese von Atacama“.

Ließ sich das noch toppen? Zumindest ergänzen…  Arica mit Zollgebäude und Hauptkirche Sankt Marcus aus Gerüsten vorgefertigter Eisenteile, schon Jahre vor Gustave Eifel konstruiert. Schneegipfel, auf 3.500 m Putre, der Nationalpark Lauca, noch einmal einen Kilometer höher, mit den Zwillingsvulkanen, und in der Landschaft wie hingetupft Lamas, Vikunjas (Kleinkamele), landestypische mit Kalkschwemme geweißte Kirchen, allen voran die Iglesia de Isluga, „mestizo, barokko andino“, die „schönste Kirche der Welt“. Faszinierend die Dächer aus regionalen Kakteen, zu Brettern zusammengefügt in kunstvollen Mustern. Und überall in der Landschaft diese Kakteen, Quinoa Wälder mit ihrem sehr harten Holz, und Yaretabüsche, die bis zu 3.000 Jahre alt werden. Im Nationalpark Volcán Isluga dann das größte existierende Geothermalfeld mit ca 80 aktiven Geysiren (Kaufmann nannte sie Wasserfontänen, da die meisten pausenlos sprudeln).

Auf 3.159 m endlich San Pedro de Atacama, ein touristisches Zentrum mit der Kirche Chiu Chiu  und der Salar de Atacama, einer der größten Salzkammern der Welt. Hier gibt es Borax en masse, und 30% des Weltvorkommens an Lithium. Andensäbelschnäbler und Flamingos tummelten sich im flachen Wasser, und im Mondtal Valle de la Luna in einer fast unwirklichen  Landschaft, auf nunmehr 4.700 Höhenmetern, zauberte Büßerschnee, auch Zackenfirn genannt, Flecken aus  vielen kleinen weißen scharfkantigen Schneeresten auf die graubraune Fläche.

Die Luft war dünn, über 4.000 km waren gefahren, Zuschauer und Referent im Saal hatten sich nach über einer Stunde satt und zufrieden gesehen und waren leicht ermattet, und Frau und Kultur bedankte sich mit einer Flasche Rotem bei Herrn Kaufmann für die inspirierende Reise in den Großen Norden Chiles, die den Auftakt der Veranstaltungsreihe des Vereins im ersten Halbjahr 2024 bildete.

bt